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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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voll und ganz auf die kommenden Sekunden und blendete dabei sogar das leise Gemurmel einer Männerstimme aus, das mit der Arie zu ihnen nach draußen drang.
Weit kann Simon nicht sein.
»Gehen Sie nach links, die dritte Tür auf der rechten Seite. Sie hören ja die Party …«
Die Frau kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu vollenden. Ein markerschütterndes Schrillen hallte unvermittelt von den nackten Wänden wider.
Stern nutzte die unerwartete Ablenkung durch die Haustürklingel, um in einem letzten Akt der Verzweifl ung das Blatt zu wenden. Einfach indem er auf die Lichtschalter drückte, die am Ende der Treppe in Schulterhöhe angebracht waren. Genau hier nämlich lag die Schwäche in ihrer Stärke: Sie hatten ihm alle Fluchtmöglichkeiten genommen. Doch die einbruchsicheren Jalousien sperrten auch das Tageslicht aus. Sobald die Halogenstrahler erloschen, nachdem Stern blitzschnell nach unten über die Schalterreihe gewischt hatte, würde der gesamte Treppenhausbereich in völlige Dunkelheit getaucht sein. Eine Dunkelheit, die es ihm ermöglichte, den Kunstfarn nach hinten zu reißen und die Frau mitsamt
dem Terrakottakübel nach unten zu kegeln. So weit die Theorie.
Die Praxis hingegen sah etwas anders aus. Stern musste schon beim ersten Schalter sein Scheitern erkennen. Denn es wurde nicht dunkler. Im Gegenteil. Plötzlich breiteten sich die Lichtwellen auch noch über den bislang schwarzen Flur hinweg aus. Er hatte die Strahler nicht aus- , sondern zusätzliche Lampen im zweiten Stockwerk an geschaltet. Und so war es für die pädophile Psychopathin hinter ihm ein Leichtes, ihn ins Visier zu nehmen und zielsicher abzudrücken. 18.
E s gab so vieles in dem Zimmer, was Simon erstaunte. Das
begann schon mit den komischen Geräuschen, die seine Turnschuhe auf dem glänzenden Fußboden hinterließen. Als er auf der Kante des Metallbetts saß, bemerkte er in dem rötlichen Schummerlicht des abgedunkelten Raumes, dass das gesamte Parkett mit einer durchsichtigen Tapezierfolie abgeklebt war.
Der Mann zog den Schlüssel an der Tür ab und schritt zu einem schwarzen Stativ in der Ecke. Darauf war eine kleine Digitalkamera befestigt, deren Objektiv genau auf das Bett zeigte, auf das Simon sich setzen musste. Der Mann drückte einen Knopf, und ein kleiner roter Punkt direkt neben der Linse begann zu leuchten. Dann trat er an das einzige Fenster des Raumes, das mit schweren armeegrünen Gummivorhängen zugezogen war, und aktivierte eine winzige Stereo anlage.
»Magst du Musik?«, fragte er.
»Kommt drauf an«, fl üsterte Simon, aber der Mann hörte schon gar nicht mehr hin. Er wiegte sich im Takt der Melodie, die der CD-Player abspielte. Simon war sich nicht sicher, ob er den Gesang mochte. Er hatte so etwas Ähnliches schon einmal im Arbeitszimmer der Heimleiterin gehört, und es hatte ihm nicht so sehr gefallen. Der Mann im Morgenmantel hatte inzwischen die Augen geschlossen und wirkte geistig abwesend. Simon wollte aufstehen und gehen. Er hatte von solchen Typen schon gehört. Einmal war sogar ein Polizist in die Schule gekommen, um ihnen Bilder von Männern zu zeigen, mit denen sie besser nicht mitgehen sollten. Obwohl der hier irgendwie ganz anders aussah.
Plötzlich wurde die Musik lauter, und Simon musste husten. Dann wurde ihm auf einmal etwas schummrig. Er lehnte sich an den Bettpfosten, bis sich das erste Gefühl der Kraftlosigkeit gelegt hatte. Dabei fi elen ihm die vielen medizinischen Geräte auf, die auf einem hüfthohen Glastisch unmittelbar neben dem Bett lagen.
Was ist das denn?
Auf einmal war sie doch da, die Angst, die ja eigentlich völlig unbegründet war. Der Mann konnte ihm nichts tun. Wegen morgen früh. Um sechs Uhr würde er jemanden auf einer Brücke treffen. Solange er sich an diesen Gedanken klammerte, durfte eigentlich keine Furcht aufkommen. Simons Beklemmung wuchs trotzdem, als er die Spritzen sah.
So was kannte er nur aus dem Krankenhaus, aber selbst da hatte er noch nie so große Dinger gesehen. Und was er sich auch nicht erklären konnte, war das silberne Metallband
zwischen dem Skalpell und der kleinen Säge auf der grünen Filzunterlage. Es sah aus wie eine kleine Fahrradkette mit Wäscheklammern am jeweiligen Ende.
»Komm mal her zu mir.«
Mittlerweile mussten einige Minuten vergangen sein, in denen der Mann selbstvergessen getanzt hatte. Seine Stimme klang freundlich. Simon, der kurz die Augen geschlossen hatte, um sich auszuruhen, sah müde auf und blickte sofort wieder in eine

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