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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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andere Richtung. Der Mann hatte seinen Bademantel auf die Knöchel herabgleiten lassen und trug jetzt nichts mehr außer den Latexhandschuhen.
»Nun mach schon.«
»Warum?«, fragte Simon und dachte an Robert. »Bring mir das da vom Bett mal her, sei so gut, ja?« Simon sah, worauf der Mann zeigte. Er musste wieder husten und fühlte sich noch kraftloser. Dennoch nahm er den gewünschten Gegenstand von der fl eckigen Matratze, auf der weder Bezug noch Bettwäsche lagen.
Er stand auf und ging auf wackeligen Beinen zu dem Mann hinüber. Mit jedem Schritt wurde er schwächer, so wie früher, als er mit Jonas um die Wette gerannt war. Seine linke Hand kribbelte schon wieder etwas, und er hoffte, dass Stern ihn endlich hier herausholen würde.
»Das machst du fein!«, keuchte der Mann und hielt in einer kreisenden Tanzbewegung inne. Mit dem ausgestreckten Arm, in dem er bislang eine unsichtbare Partnerin gehalten hatte, berührte er ihn sanft an der Schulter. Er tippte ihn an. Einmal, zweimal. Dann lachte er, wie über einen gelungenen Scherz.
»Weißt du, dass du wunderschön bist?«
Simon schüttelte den Kopf.
»Doch, doch. Aber du könntest noch viel schöner aus sehen.«
»Will ich aber nicht.«
»Doch, vertrau mir.«
Simon spürte, wie ihm die Tüte gewaltsam aus der Hand gerissen wurde. Dann sah er plötzlich nichts mehr. Er wollte einatmen, aber es ging nicht. Wie ein Luftballon stülpte sich die Folie nach innen, nur wenige Millimeter in seinen Mund hinein. Er aktivierte seine letzten Kraftreserven und riss die Arme nach oben, um sich die Tüte vom Kopf zu ziehen, doch die Männerhand packte ihn an den Handgelenken, drückte seine Hände nach unten und band sie mit Paketklebeband hinter seinem Rücken zusammen. Simon wollte schreien, doch dazu fehlte ihm die Luft. Statt des Sauerstoffs hatte er nur ein kleines Haarbüschel eingesogen. Die Haare seiner eigenen Perücke, die ihm vom Kopf gerutscht war, als der Mann ihm die Plastiktüte über den Kopf zog. »Ja, so sieht es schön aus«, hörte er die Säuselstimme des Nackten, der ihn gewaltsam dorthin zurückzerrte, wo er eben noch gesessen hatte. Zum Bett.
»Viel besser.«
Simon trat mit seinen Füßen aus, blind in alle Richtungen, traf hin und wieder auf einen weichen Widerstand oder ein Schienbein, spürte aber bald, dass er der Einzige war, der dabei Schaden nahm.
Er wurde immer müder, immer kraftloser, während gleichzeitig seine Lungen zu platzen drohten. Deshalb war er auch gar nicht so sehr über den lauten Knall verwundert, der auf einmal die Musik zerfetzte.
Der Schuss auf dem Flur ließ den Mann für einen Moment innehalten, dann grinste er und riss einen langen Streifen Paketklebeband ab, um es um die Tüte und den Hals des Jun gens zu wickeln. Erst dann würde er beide Hände frei haben. Und die brauchte er für das, was er jetzt vorhatte. 19.
A ls der Schuss fi el, explodierte die Welt um ihn herum. Die
Qualen nach dem Knall waren unerträglich, breiteten sich aber nicht in der Körperregion aus, in der er es vermutet hatte. Stern kippte vornüber und krachte mit dem Kopf gegen die Blumenvase. Allerdings fi el er mehr aus Refl ex als aus wirklicher Notwendigkeit. Er war sich sicher gewesen, vor seinem Tod noch eine Austrittswunde im Bauch zu sehen, nachdem das Geschoss durch seinen Rücken gedrungen war. Stattdessen konnte er nichts mehr hören, hustete sich die Seele aus dem Leib und fühlte sich mit jedem erstickten Atemzug mehr, als ob er gleich innerlich verbrennen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit, kurz bevor er glaubte zu erblinden, wurde ihm klar, was passiert war. Reizgas .
Die Pistole war nicht mit tödlicher Munition geladen gewesen. Das perverse Ehepaar mochte vielleicht pädophil sein, es war aber nicht des Mordes fähig. Oder aber die Irren töteten auf andere Art und Weise. Womöglich brachte ihnen eine simple Kugel keinen gesteigerten Lustgewinn ein. Dass er mit all seinen Vermutungen falschlag, erkannte Stern, als die Frau hinter ihm plötzlich ebenfalls hustete. »Scheiße«, sagte sie, aber selbst das eine Wort war kaum zu verstehen, weil ihre Nasenschleimhäute wie die Niagarafälle
arbeiteten.
Stern wälzte sich auf den Bauch und sah die Treppe hinunter. Seine Augen tränten, als hätte er sie mit Toilettenreiniger eingerieben, aber er erkannte durch den Schleier, dass die Frau nur wenige Stufen unter ihm stand. Sie krümmte sich, rieb ihre Augen, weil sie ebenfalls keine schützende Maske trug.
Also hat sie nicht

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