Kostbarkeit in den Händen,
darauf bedacht, ihn nicht mit seiner blutund dreckverkrusteten Brust in Berührung zu bringen.
»Is ja …«, der Junge holte erstickt Luft, »… is gut.« Simon pfi ff die wenigen Worte heraus. Dann musste er wieder keuchen und zog die Nase hoch. Stern wich ein wenig von ihm zurück. Zum Glück war die Tränengaswolke bislang im Treppenhaus hängengeblieben. Doch er befürchtete, dass allein in seinen Haaren genügend Reizpartikel klebten, um Simon noch zusätzlich zu belasten.
»Pfff uffff«, röchelte der Kleine, der anscheinend genug Kraft zum Sitzen hatte, während Stern sich am liebsten schlafen gelegt hätte. Als Simon die unverständlichen Geräusche wiederholte, wurde er endlich hellhörig. Pass auf!
Er drehte sich um, gerade noch rechtzeitig, bevor der Mann mit dem halb zertrümmerten Gesicht zur Tür hinaus war. »Hiergeblieben!«, schrie Stern und griff erneut zum Stativ, von dem die Kamera längst abgerissen war. Diesmal schlug er ihm seitlich gegen die Schienbeine. Der Mann knickte ein und blieb, brüllend vor Schmerzen, unmittelbar vor der Schwelle liegen.
»Keinen Zentimeter weiter. Sonst bring ich dich um wie deine durchgeknallte Frau.«
Stern beugte sich über den Päderasten, der sich gerade an seinen eigenen Schmerzensschreien verschluckte. Zeigte ihm das Skalpell, das er vom Beistelltisch gegriffen hatte, und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Am liebsten hätte er ihm die Stativspitze in den nackten Fuß gerammt oder die Klinge unter seinem Fingernagel abgebrochen. Doch das konnte er Simon nicht antun. Der Junge hatte schon genug Gewalt gesehen – schlimmer noch: Er hatte sie erlebt. Seinetwegen würde er hiernach psychologisch betreut wer den müssen.
»Hören Sie, wir können das regeln«, nuschelte der Mann. Er lag eingeigelt vor ihm auf dem Boden, und sein einst sympathischer Gesichtsausdruck hatte sich nicht nur aufgrund der verschobenen Zahnreihen völlig verändert. »Ich hab Geld. Ihr Geld. Wie vereinbart.« »Halt ’s Maul. Ich will kein Geld.«
»Was dann? Wieso sind Sie dann hier?« »Guck bitte weg, Simon«, sagte Stern, während er wieder das Stativ hob. Der Mann zog seine Knie bis unters Kinn und hielt dabei schützend die Hände über seinen blutigen Kopf.
»Nein, bitte nicht«, fl ehte er. »Ich tu alles, was Sie wollen. Bitte.«
Stern ließ ihn noch eine Weile in Erwartung eines weiteren Schlages zittern, dann fragte er ihn: »Wo ist das Handy?« »Was?«
»Dein gottverdammtes Handy. Wo hast du es?« »Da.« Der Mann zeigte auf den Morgenmantel vor dem Bett. Stern wich einen Schritt zurück und hob ihn auf. »In der Seitentasche. Rechts.«
Robert konnte das Gewimmer des Kinderschänders kaum verstehen. Schließlich fand er das Telefon und hielt es dem Mann zu seinen Füßen entgegen.
»Was soll ich tun?«
»Ruf ihn an.«
»Wen?«
»Deinen Kontaktmann. Den, mit dem du im Wohnzimmer geredet hast. Los. Ich will ihn sprechen.« »Nein, das geht nicht.«
»Warum?«
»Weil ich seine Nummer nicht habe. Niemand hat die Num mer vom ›Händler‹.« Der Mann sprach das letzte Wort wie einen Namen und nicht wie eine Tätigkeitsbeschreibung aus. Selbst in dieser jämmerlichen Situation konnte der Irre die Ehrfurcht vor dem mächtigen Drahtzieher der Szene nicht ablegen.
»Wie nimmst du dann Kontakt auf?«
»Über E-Mail. Wir schreiben ihm, und er ruft zurück. So war das auch bei Ihnen. Tina hat …«, er keuchte, »… hat Ihren Namen und Ihre Ausweisnummer noch aus dem Auto übers Telefon verschickt. Und er hat uns angerufen.« Tina! Das sterbende Grauen am Fuße der Treppe besaß jetzt
einen Namen.
»Okay, dann gib mir die Mail-Adresse.«
»Steht im Handy.«
»Wo?« Es piepte jedes Mal, wenn Stern auf eine der Tasten drückte. Er kannte das Modell, hatte es selbst einmal für kurze Zeit benutzt und war deshalb mit seiner Funktionsweise vertraut.
Stern fand den Kontaktspeicher, ohne den Mann am Boden aus den Augen lassen zu müssen.
»Unter ›Bambino‹, aber das wird Ihnen nichts nützen.« »Wieso?« Stern versuchte gar nicht erst, sich den komplizierten Eintrag zu merken:
[email protected]. Er würde das Telefon sowieso mitnehmen.
»Weil sich die Adresse nach jeder Anfrage ändert. Sie existiert bereits nicht mehr.«
»Und was machst du beim nächsten Mal?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Warum?«
»Weil die mich sonst umbringen.«
»Was glaubst du, was ich gerade vorhabe? Sag mir sofort, wie du an die neue E-Mail-Adresse kommst, oder