Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Ausstellungsräume. An den Wänden hingen, sorgfältig ausgeleuchtet, große Gemälde mit eindeutig expressionistischem Einschlag.
Sie kam mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem sie zwei Champagnerflöten balancierte.
»Wir lösen gerade eine Sammlung auf«, erklärte sie. »Es ist unglaublich, was im Moment auf den Markt kommt. Hervorragende Qualität. Alles über Jahrzehnte zusammengetragen. Und dann kommt die Endlichkeit ins Spiel, und keiner will es haben. Die Museen werden überschwemmt mit Anfragen, die Kinder wollen Geld sehen, ein Lebenswerk wird auseinandergerissen und verschwindet.«
Sie hob das Glas. »Auf uns. Auf unser Wiedersehen.«
Wir stießen an. Der Champagner war hervorragend und genau richtig temperiert. Marietta setzte sich auf die Ledercouch mir gegenüber.
»Das heißt, du kennst dich aus mit solchen Sachen.«
»Sachen? Welchen Sachen?«
»Sammlungen, die im zwanzigsten Jahrhundert entstanden sind.«
Sie stellte das Glas ab. »Es ist sozusagen mein Spezialgebiet. Man muss nicht nur hervorragende kunsthistorische Kenntnisse besitzen, sondern auch viel Fingerspitzengefühl. Manchen zerreißt es das Herz. Aber wo sollen sie hin mit all den angehäuften Schätzen? Nur die wenigsten können sich ein eigenes Museum bauen. Und mehr als zwei Stadthäuser, drei Landvillen und ein paar Apartments in den wichtigsten Metropolen haben die wenigsten. Die Zahl der Wände ist begrenzt. Also ist vieles deponiert.«
»Warum nehmen die staatlichen Museen die ganzen Sachen nicht mit Kusshand? Alle klagen, dass sie kein Geld haben.«
Marietta lächelte. »Nicht jeder Sammler ist ein Kenner. Außerdem bedeutet Besitz Verantwortung. Auch für ein Museum. Die Kuratoren und Direktoren haben eigene Vorstellungen davon, was sie der Nachwelt erhalten wollen. Das deckt sich nicht immer mit dem, was ein Sammler zusammengetragen hat. Nicht
jeder ist ein Berggrün, Marx, Ludwig oder Flick. Diese Leute sind Glücksfälle für die Stadt, der sie ihre Kollektion zur Verfügung stellen. Die meisten halten sich für große Sammler, aber sie besitzen oft viel Spreu und wenig Weizen. Das kann man ihnen schlecht ins Gesicht sagen. Deshalb sind Sammlungsauflösungen immer wieder eine heikle Sache. Doch es gibt auch Trouvaillen. Hier zum Beispiel.«
Sie wies auf ein Gemälde hinter mir. Es war die Ansicht eines stürmischen Meeres, in dem sich gerade ein unglückliches Mädchen ertränken wollte.
»Skandinavische Expressionisten. Ein leer gefischtes Sammlergebiet. Und doch findet man immer wieder kleine Schätze.«
»Kommt es oft vor, dass gestohlene Sachen angeboten werden? «
Ihre eben noch entspannte Haltung verschwand. Sie setzte sich aufrecht. »Selten. Aber wir kriegen das schnell heraus. Außerdem gibt es noch die Flüsterpropaganda. Wenn es irgendwo einen spektakulären Kunstraub gegeben hat, wissen wir das und sind entsprechend aufmerksam. Wir arbeiten hervorragend mit den entsprechenden Stellen zusammen. Zufrieden?«
Ich stand auf und setzte mich neben sie. »Die Sammlungen, die du angeboten bekommst … war schon mal eine dabei, die auf nicht ganz korrektem Wege entstanden ist?«
»Etwas präziser, bitte.« Sie goss Champagner nach und nutzte die Gelegenheit, ein Stückchen von mir wegzurücken.
»Im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel wurde doch viel beschlagnahmt. Ich gehe davon aus, dass einige Privatsammlungen davon außerordentlich profitiert haben.«
Marietta reichte mir mein Glas. »Du willst eine Nachhilfestunde in Kunstgeschichte?«
»Sozusagen.« Ich trank und sah sie über den Rand meines Glases hinweg an.
Sie seufzte und lehnte sich zurück in die Polster. »Du rührst
da an ein ganz heikles Thema. Mit Beutekunst habe ich nichts zu tun. Ich kann dir einige Telefonnummern von Fachleuten …«
»Keine Beutekunst«, sagte ich. »Schmuck, Gemälde, Handschriften, die von den Nazis beschlagnahmt wurden. Sind die Sachen immer archiviert worden?«
»Nein.« Sie strich mit beiden Händen ihre Haare nach hinten. Ich hatte diese Geste erst ein Mal bei ihr gesehen, und doch kam sie mir schon unendlich vertraut vor.
»Die größten Räuber waren Hitler und Goebbels. Und es gab Zigtausende, die ihnen in nichts nachstanden. Ich will nicht wissen, was auf manchen Dachböden noch so verstaubt. Allein bei der Bergung von Kulturgütern vor Bombenangriffen gingen wertvollste Bibliotheken, ganze Schlosseinrichtungen gleich waggonweise verloren. Die Legende vom Gold im Königssee. Die Züge im Tauerntunnel.
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