Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Wir sind ihre Anwälte. Marie-Luise Hoffmann und Joachim Vernau. Ihre Patientin wurde entführt und lebensgefährlich verletzt. Wir sind hier, weil Grund zu der Annahme besteht, dass die Täter wiederkommen.«
»Die Täter?«
Der Arzt blickte zu den Krankenschwestern. »Soweit wir wissen, handelt es sich um einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht.«
»Wer sagt das?«, fragte ich.
»Die Polizei«, antwortete die Krankenschwester, die vorhin in dem Büro gesessen hatte. »Eindeutig ein Unfall. Es gab sogar Zeugen, aber mehr dürfen wir Ihnen nicht sagen. – Und wohin will der da?«
Wir sahen uns nach Horst um, der heimlich auf dem Rückzug war. Er blieb stehen. »Ich wollte sie nur mal anschauen«, stammelte er. »Ich hab sie ja noch nie gesehen. Nur auf einem Passfoto. Und das war jetzt in der Zeitung.«
»Und da wollen Sie mit ihr verlobt sein?«, schaltete sich die erste Krankenschwester ein.
»Na ja.« Horst lief noch eine Schattierung dunkler an. »Ich hab sie aus dem Internet. Über eine Agentur. Das lief alles prima, mit dem Visum und dem Flug. Aber als ich sie abholen wollte …«
Typisch Milla. Ich konnte mir den armen Kerl vorstellen, wie
er da am Flughafen stand, mit einem Strauß roter Nelken in der Hand, während die Versprochene schon längst ihren persönlichen Rachefeldzug gestartet hatte.
Marie-Luise öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie sah mich an, aber ich konnte ihr auch nicht weiterhelfen. Sie wandte sich an Horst Cahlow. »Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich in diesem Fall gewissermaßen um eine gekaufte Braut handelt?«
»Das stimmt nicht!«, protestierte Cahlow. »Nur wenn es ihr bei mir gefällt. Dann kostet sie eine Bearbeitungsgebühr. Aber ich hab ja schon einen Vorschuss bezahlt, und als ich gelesen hab, wo sie ist, da wollte ich …«
»… da wollten Sie sich die Lieferung mal ansehen, stimmt’s?« Der Arzt blickte auf seine Uhr. »Es ist spät, meine Herrschaften. Kommen Sie bitte morgen wieder.«
»Ich würde sie gerne sehen«, sagte ich. »Bitte.«
»Das geht leider nicht.«
»Es wäre sehr, sehr wichtig für uns.« Der erste produktive Satz von Marie-Luise, aber er half auch nicht weiter.
»Tut mir leid. Kommen Sie morgen wieder, oder warten Sie unten.«
Cahlow, Marie-Luise und ich rührten uns nicht vom Fleck. Der Arzt entschwand mit fliegenden Kittelschößen. Die jüngere der beiden Schwestern legte den Finger an die Lippen und bedeutete uns, leise ans Fenster zu treten. Dann ging sie in Raum 42 – 07 und zog die Jalousien etwas hoch.
Die Gestalt auf dem halb erhöhten Krankenbett war nicht zu erkennen. Der Kopf war durch einen riesigen Verband verdeckt, Arme und Beine unter der Decke. Die Jalousie rutschte wieder herunter, die Schwester kam heraus. Horst wischte sich über die Augen, Marie-Luise schluckte.
»Wird sie durchkommen?«, fragte ich.
»Ich kann Ihnen nichts versprechen«, sagte die Schwester.
»Aber es sieht ganz gut aus. Sagen Sie mir jetzt bitte noch einmal den Namen und die Personalien der Dame.«
»Das geht nicht«, sagte Marie-Luise schnell, die jetzt endlich kapiert hatte. »Das würde einigen Leuten den Weg hierher zu einfach machen.«
»Wem denn?«, fragte die Schwester.
»Denen, die sie so zugerichtet haben.«
Sie sah in die Richtung, in die der Arzt verschwunden war. »Ich muss das tun. Bitte verstehen Sie das. Warum beantragen Sie keinen Personenschutz?«
Ich kannte Marie-Luise gut genug, um diese kleine Falte zwischen ihren Brauen richtig zu deuten. Auch ich hielt nicht viel davon, Petze 1 um Hilfe zu bitten.
»Ich könnte auf sie aufpassen«, sagte Horst Cahlow. »Ich setze mich hier vor die Tür. An mir kommt keiner vorbei.«
»Das geht nicht«, sagte die Krankenschwester. Sie sah sich nach ihrer älteren Kollegin um, die zwischenzeitlich einen Rundgang auf der Station machte und immer mal wieder auf dem Flur auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen. Jetzt kam sie näher.
»Es war eindeutig Fahrerflucht«, sagte sie leise. »Mehrere Zeugen haben beobachtet, wie die Frau über eine dicht befahrene Straße ging und plötzlich von einem Auto angefahren wurde. Mehr hat man uns nicht gesagt. Und mehr wollen wir auch gar nicht wissen. Jeder ist hier Patient. Kranke, Unschuldige, auch Täter.«
»Darf ich … darf ich wieder kommen?«, fragte Cahlow.
Die Schwester musterte ihn von oben bis unten und gab dann seufzend nach. »Vor der Tür. Nicht reingehen. Und wenn ich auch nur ein Wort sage, verschwinden Sie über
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