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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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beide schienen an ihrem Herrschaftswissen fast zu platzen. Es war klar, dass ich erst zur Ruhe kommen würde, wenn ich den genauen Anweisungen gefolgt war.
    Im Bad entdeckte ich auf dem halb leer geräumten Porzellanbord über dem Waschbecken einen eingepackten Sixpack Einwegrasierer. Daneben eine neue Zahnbürste, Kamm, Rasierschaum und ein Aftershave, von dem ich bisher angenommen hatte, dass es ausschließlich Schwerstalkoholiker kaufen würden. Ich stieg in die Badewanne und duschte.
    Zwanzig Minuten später war ich halbwegs wach. Gewaschen, rasiert, mit geputzten Zähnen und nach American Gigolo duftend, ging ich in die Küche. Hüthchen hatte den Tisch gedeckt und polierte gerade mit Spucke den Teerand in ihrem Kaffeebecher weg. Ich goss Milch in meine halbvolle Tasse.
    »Er ist entkoffeiniert«, sagte Hüthchen. Sie war mit ihrem Werk zufrieden und hielt meiner Mutter die Tasse hin. Auf dem Tisch prunkten drei gekochte Eier, zwei verklebte Gläser Marmelade und mehrere Scheiben Käse, die flehend ihre Ränder gen Himmel streckten. Hüthchen schüttete Knäckebrot in eine Schüssel.
    »Wir sind leider nicht mehr zum Einkaufen gekommen«, erklärte meine Mutter.

    »Nein, wir kamen nicht dazu«, wiederholte Hüthchen.
    Ich köpfte ein steinhartes, eiskaltes Ei und nahm mir eine Scheibe Knäckebrot.
    »Tja, wir hatten ja Besuch.«
    Ich biss in das Brot und kaute.
    »Wann bist du weg? Ich glaube, halb acht. Es war halb acht, nicht wahr, Hüthchen?«
    Hüthchen nickte. »Halb acht.«
    Ich trank einen Schluck Kaffee.
    »Da klingelte es plötzlich.«
    »Ja, es hat geklingelt«, bestätigte Hüthchen.
    »Erst hab ich gedacht, hat der Junge etwa die Schlüssel vergessen? Aber dann ist mir eingefallen, dass du sie ja immer bei dir hast. Falls was passiert.«
    Mutter sah auf ihren Teller, als sei ihr gerade etwas Unangenehmes eingefallen. Hüthchen tätschelte ihre Hand. »Hat er immer dabei. Jawoll.«
    Mutter nickte. »Also, es hat noch mal geklingelt.«
    Beide sahen mich jetzt an und warteten auf meine Aufforderung fortzufahren. Ich ließ sie ein bisschen zappeln, schenkte noch einmal Kaffee nach und nickte ihnen dann zu.
    »Ich habe den Summer gedrückt«, sagte meine Mutter. »Dann ist sie da vor uns in der Tür gestanden.«
    Hüthchen drückte ihre Hand. »Dann stand sie vor uns.«
    »Wer?«, fragte ich.
    »Sigrun.«
    Ich hatte den Mund voll mit Knäckebrot und verschluckte mich. Hüthchen und Mutter waren mit der Reaktion vollauf zufrieden. Sigrun. Hier. Im dritten Stock eines abgewohnten Mietshauses am Mierendorffplatz.
    »Schön sah sie aus«, sagte Hüthchen. »So eine feine Dame. Noch viel schöner als auf den Plakaten, die Frau von Zernikow. Ihre Verlobte.«

    »Ich habe sie natürlich hereingebeten«, fuhr meine Mutter fort. »Sie hat gleich den Blick von hier oben bewundert. So eine Aussicht hätte sie nicht, hat sie gesagt.«
    Sigrun, in dieser Wohnung, mit Mutter und Hüthchen fröhlich plaudernd, das war nur schwer vorstellbar. Doch dann sagte Mutter etwas, das es real machte.
    »Sie hat gesagt, wie schade es ist, dass wir uns nicht öfter gesehen haben. Und sie hat sich noch an mein Kleid erinnert, damals im Restaurant. Das blaue mit den weißen Punkten. Und dass ich die Perlenstecker dazu getragen hatte.«
    Sigrun hatte mir einmal den Trick verraten, mit dem sie die Leute auseinander- und ihre Namen behielt. Sie merkte sich Krawattenmuster und Kleiderfarben. Dann ordnete sie ihnen Begriffe zu, die mit dem Namen in Verbindung standen. Frau Sobotka trug ein sorbet-bonbonfarbenes Kleid und kam nicht zu spät. Herr Steinheuer trug einen steinblauen Binder, der ihm nicht geheuer war. Ein simpler kleiner Trick. Sie vergaß nie einen Namen. Und da sie bei meiner Mutter keinen Namen behalten musste, hatte sie sich die Ohrringe gemerkt.
    »Dass sie das noch weiß …«
    »Weiter«, sagte ich.
    »Sie hat nach dir gefragt, Joachim. Sie wollte wissen, wo du hin bist. Aber uns sagst du ja nichts.« Selber schuld, warf sie mir noch stumm hinterher.
    »Nichts weiter?«, fragte ich.
    Mutter und Hüthchen sahen sich kurz an.
    »Also, ich soll dir was ausrichten.«
    »Nur zu.«
    Hüthchen deutete auf mein Ei und sah mich an. Ich schob es zu ihr hinüber.
    »Wenn du willst, sagte sie, also wenn du willst, dann würde sie dich am Montagmittag gerne treffen. Falls du Zeit hast. Sie will mit dir essen gehen.«

    Unter der Woche mittags ein Restaurant zum Zweck der Nahrungsaufnahme zu betreten war für meine Mutter der

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