Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
Vom Netzwerk:
Inbegriff des Luxus. Ein Hauch von Amerika: Doris Day im weißen Kostüm mit passenden Handschuhen und Hut, die strahlend auf einen breitschultrigen Kerl im dunklen Anzug zugeht. Etwas aus fremden Ländern oder auch nur aus dem fremden Leben, das ich mittlerweile führte.
    »In … einem Restaurant. Wie hieß es noch mal?«, fragte Hüthchen.
    Mutter stand auf. »Sie hat es aufgeschrieben. Warte.«
    Sie ging hinaus und kehrte nach wenigen Sekunden zurück. »Im … Ich kann’s nicht lesen. Da.«
    Sie reichte mir den Zettel. Sigruns Handschrift. 13 Uhr, Borchardt. E.t.m.l. Sigrun. Ich faltete das Papier zusammen und steckte es ein.
    »Danke.« Ich trank meinen Kaffee aus.
    »Junge«, fragte meine Mutter, »was ist denn passiert? Habt ihr euch gestritten?«
    Vielleicht hätte ich es ihr gesagt. Aber Hüthchen saß neben ihr, ganz aufgeplustert vor Wissbegierde, die Ohren bereits um zwei Drittel gewachsen, also konnte ich es nicht. Ich beugte mich zu Mutter hinunter und küsste sie auf die Wange. Sie nahm meine Hand, die ich auf ihre Schulter gelegt hatte, und streichelte sie.
    »Ich leg mich noch mal hin«, sagte ich. »Wann wolltest du nach Reinickendorf?«
    Meine Mutter im Porsche war zwar schwer vorstellbar, aber wir könnten es versuchen.
    »Nun, wir … «, sie sah zu Hüthchen. »Morgen, vielleicht?«
    Meine Mutter und Hüthchen im Porsche ging nun gar nicht. Zwei Augenpaare starrten mich an. Ich nickte. Es würde schon irgendwie gehen.
    Auf der Schlafcouch faltete ich den Zettel noch einmal auseinander. E.t.m.l. Es tut mir leid. Mir auch. Ich wollte weinen. Aber
ich war mir nicht sicher, weshalb. Vielleicht, weil Unschuld so ein relativer Begriff war. Man konnte ihn so weit dehnen, bis nichts mehr von ihm übrig war.

26
    Sie kam fast privat, ohne Security. Sie hatte das Wahlkampfmobil gegen den diskreteren Dienstwagen getauscht und ihren Assistenten vorgeschickt. Seine Aufgabe bestand darin, die Reservierung zu prüfen und nachzusehen, ob der Gesprächspartner bereits anwesend war. Er tuschelte mit dem Geschäftsführer und sah in meine Richtung. Ich nickte ihm zu. Er ging erleichtert nach draußen und half Sigrun aus dem Wagen.
    Als ich sie sah, spürte ich eine Zärtlichkeit, die ich lange nicht mehr gefühlt hatte. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug und eine Sonnenbrille. Das blonde Haar trug sie hochgesteckt. Links und rechts fiel eine Strähne über die Ohren. Sie sah so unglaublich gut aus. Die Aktentasche unter den Arm geklemmt, stieg sie die Stufen hoch und trat ein. Die Menschen an den vorderen Tischen hoben unisono die Köpfe. »Guten Tag.«
    Sie stand vor mir und nahm die Sonnenbrille ab. Ich stand auf und wusste nicht, ob ich sie in den Arm nehmen oder siezen sollte.
    »Schön, dass du gekommen bist.«
    Sie setzte sich hin, ich tat das Gleiche. Zwei Speisekarten wurden gebracht und ungelesen zur Seite gelegt. Ich sah sie genauer an und wusste nun, warum sie die Brille getragen hatte: Sie sah unendlich müde aus.
    »Das ist doch selbstverständlich.«
    Sie sah sich kurz um und beugte sich etwas weiter vor, um leiser sprechen zu können. »Nichts ist selbstverständlich. Nichts ist, wie es sein sollte.«

    Ich zuckte mit den Schultern. Sie rückte noch näher heran.
    »Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Die Umfragewerte sind katastrophal. Wenn es so weitergeht, liegen wir fast einen Prozentpunkt zurück. Wir verlieren mit Sicherheit die absolute Mehrheit. Die Opposition ist so stark wie seit vier Jahren nicht mehr. Nächste Woche steht NordrheinWestfalen an. Wenn Hornmeyer es nicht schafft, ist die Signalwirkung katastrophal.«
    Hornmeyer forderte gerade den Ministerpräsidenten heraus und wurde als neuer Hoffnungsträger der Bundespartei aufgebaut. Das war alles zweifellos interessant und spannend, aber mit Sicherheit nicht das, was wir beide eigentlich miteinander zu besprechen hatten.
    »Sigrun …« Ich legte meine Hand auf ihre. Sie war eiskalt. Blitzschnell zog sie sie zurück. Aus der Aktentasche nahm sie ihre Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Da erst bemerkte ich, dass sie zitterte.
    »Ich habe heute achtzehn Termine. Wahlkampfkommission. Fraktionssitzung. Landesvorstandssitzung. Drei Rundfunkinterviews. Und Meyer hat es geschafft, Ullrich zum Rücktritt zu zwingen. Und jetzt rückt Werner nach.«
    Meyer, der familienpolitische Sprecher aus Mariendorf. Vor fünf Jahren hatte er als Vertreter des konservativen Flügels gegen sie kandidiert und verloren. Seit dieser

Weitere Kostenlose Bücher