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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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brechen.«
    Ich hob ihre kalte Hand an meinen Mund und küsste sie.
    Sie zog sie langsam zurück. »Wo kann ich dich erreichen?«
    »Ich weiß es noch nicht. Versuch es über mein Handy.«
    Sie sah mich lange an. »Deine Mutter ist nett. Ich hätte sie gerne näher kennen gelernt. Du hast sie immer versteckt.« Sie winkte dem Kellner. »Die Rechnung, bitte.«

    Der Kellner brachte die Rechnung und wirkte ausgesprochen erleichtert. Es war voll geworden, alle Tische waren besetzt. Ich zog einen Zehn-Euro-Schein heraus und bedeutete ihm, den Rest zu behalten.
    Sigrun packte das Taschentuch in die Aktentasche und verschloss sie mit einem Griff.
    Draußen vor der Tür stand ihr Wagen, im absoluten Halteverbot. Aber Senatsnummernschilder ziehen immer. Der Fahrer lehnte sich entspannt an den Kotflügel und hielt das Gesicht in die Sonne. Wir schauten beide durch die Glastür hinaus und konnten uns nicht entschließen, sie zu öffnen.
    »Wann ist es passiert?«, fragte sie leise.
    »Hör auf, dir solche Fragen zu stellen. Normale Paare nennen das eine Krise.«
    »Und du? Wie nennst du das?«
    Sie schmiegte sich an mich. Meine Sehnsucht nach dem, was wir verloren hatten, brachte mich dazu, sie an mich zu ziehen. Dem Fahrer fiel auf, dass es etwas länger dauern könnte. Er öffnete die hintere Tür und setzte sich selber schon einmal vorsichtshalber hinters Steuer. Sigrun legte ihren freien Arm um meine Taille. Es kribbelte. Ich ließ sie los. »Ich weiß nicht, ob das richtig ist, was wir hier tun.«
    Sie nickte. »Ist schon okay. Entschuldige. Es tut mir leid.«
    Sie ging zum Wagen und warf die Tasche auf den Rücksitz. In zwei Schritten war ich bei ihr und riss sie herum.
    »Du sollst dich nicht dauernd entschuldigen.«
    »Was bleibt mir übrig? Ich habe dich verloren, ich werde die Wahlen verlieren und meine Familie … Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich traue nicht mal mehr dem Boden, über den ich gehe.« Sie hatte schon wieder Tränen in den Augen. »Ich wusste nicht, dass ich so allein bin.«
    Es war kurz nach zwei. Der Fahrer wendete sich zu ihr und deutete auf seine Uhr.

    »Hier.«
    Ich streckte ihr den Schlüssel entgegen.
    »Was ist das?«
    »Er gehört zu einem Schließfach am Bahnhof Zoo.«
    Sie nahm ihn und betrachtete ihn genau. »Was ist da drin?«
    »Die Arbeitsbücher.«
    Ihre Hand schloss sich reflexartig um den Schlüssel. »Warum gibst du ihn mir?«
    »Vielleicht bin ich der Nächste. Bei dir ist er sicherer.«
    Sie schloss die Hand um den Schlüssel und drückte sie an die Brust. »Wenn ich dir glaube, habe ich keine Familie mehr. Und wenn du wirklich der Nächste bist …«
    »Dann bringst du es zu Ende.«
    Sie sah erst auf den Schlüssel, dann zu mir. »Das traust du mir zu?«
    »Irgendwo müssen wir ja wieder damit anfangen. Mach schon. Du kommst zu spät.«
    »Joachim …«
    »Rein mit dir.«
    Sie setzte sich auf die Rückbank und sah mich an. Sie lächelte. Ich warf die Tür zu, doch bevor der Wagen anfahren konnte, klopfte ich noch einmal an die Fensterscheibe. Sie surrte herunter.
    »Sigrun?«
    »Ja?«
    »Meyer ist ein Arschloch.«
    Sie grinste mich an. Ich gab dem Wagen einen liebevollen Klaps aufs Autodach. Er schnurrte los. Ich winkte ihr hinterher, doch ich konnte sie nicht mehr erkennen. Die Scheiben waren zu dunkel.
    Ich spürte etwas Schweres in meiner Jackentasche. Der Ring. Es war noch viel Zeit bis zu meiner Verabredung mit Aaron in einem Grunewalder Tennisclub. Ich konnte einen Spaziergang
machen und mir dabei darüber klar werden, wie meine Zukunft aussehen würde. Ich konnte auch gleich mit ihr anfangen. Ich rief Marie-Luise an und sagte ihr, dass ich mir gerne einige ihrer Blechschäden ansehen würde.

27
    Die Kanzlei lag nicht weit vom Helmholtzplatz, direkt um die Ecke der Dunckerstraße, in einem Haus, das sich bis jetzt relativ erfolgreich gegen die Massenrenovierung der umliegenden Straßenzüge gewehrt hatte. Seine schönsten Tage dürfte es nach dem Einmarsch der Alliierten hinter sich gehabt haben. Der Putz fiel quadratmeterweise und hinterließ helle, hässliche Flecken auf einer grauen Fassade. Zumindest hatte man die Kacheln im Flur für abschlagenswert erachtet. Den Stuck an den geschwungenen Deckenbögen verhängten Starkstromleitungen, die sich wie Lianen durch den Eingang hoch in die anderen Stockwerke des Vorderhauses schlängelten. Die Briefkästen waren allesamt mehrmals aufgebrochen worden, manche quollen über von Reklame. Dass das Haus nicht

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