Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Unterlagen. »Von einem Felix Glicksberg, Zuckerfabrikant.«
»Glicksberg«, wiederholte Abraham. »Mein Gott, Aaron, verstehst du nicht?«
»Doch«, erwiderte der Sohn. »Ich verstehe. Du willst die Ausschreibung
für die Jüdische Bibliothek in Madrid gewinnen. Es würde deine Chancen um einiges mindern, wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass der Vater eines international renommierten Stararchitekten sich im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten bereichert hat.«
»Ja«, sagte Abraham. »Das wäre sehr unglücklich. Aber das ist es nicht allein. Ob du es glaubst oder nicht, ich will tatsächlich nichts damit zu tun haben.«
»Hast du auch nicht. Das ist mein Erbe. Und ich will es behalten.«
Ich wunderte mich, dass Aaron den Rat seines Vaters so vehement ausschlug. Ein kurzer Blick auf die Unterlagen zeigte, dass außer der Arbeit auch die Kosten enorm sein würden. Aaron wusste wirklich nicht, was auf ihn zukam. Vermutlich war er noch dümmer, als bisher zu befürchten war. Ich stand auf und öffnete das Erkerfenster, damit etwas frische Luft in den Raum hereinströmte. Sigruns Wagen stand in der Einfahrt. Das war ungewöhnlich. Doch dann fiel mir ein, dass sie heute den Termin mit der Zeitung hatte. Hinter mir breitete sich Stille aus.
Aaron saß ungerührt am Tisch. Ganz lässig, ganz Herr der Lage, die ihm mit Sicherheit in kürzester Zeit über den Kopf wachsen würde.
Verena sah verstohlen auf ihre Armbanduhr. Solche Sitzungen waren nicht ihre Sache. Sie gehörte auf Polo- und Golfplätze und ertrug diese eigenartige Testamentseröffnung nur, weil sie ihren Mann so selten zu Gesicht bekam.
Utz war beinahe unsichtbar. Er sagte nichts, er rührte sich nicht, er wartete darauf, dass eine Entscheidung gefällt wurde. Erst dann würde er wieder in Erscheinung treten. Das einzige Geräusch kam von einer dicken Fliege, die traumselig an mir vorbeiflog und Kreise unter dem Kronleuchter drehte.
Abraham räusperte sich. »Also. Wie viel könnte der Kasten wert sein?«
»Schwer zu sagen«, meinte Utz. »In diesem Zustand zählt wahrscheinlich mehr der Grundstückswert. Der könnte enorm sein, wenn er nicht an diese Auflagen gebunden wäre. Ich würde sagen, im Moment ist das Grundstück nicht verkäuflich.«
Abraham griff nach Verenas Hand. »Ich zahle dir aus meinem Erbe eine Million, wenn du das Haus ausschlägst.«
Ich blickte zu Aaron, gespannt auf seine Reaktion.
»Nein.«
»Eins Komma fünf Millionen.«
Verena hielt den Atem an. Abraham hielt sie immer noch fest.
»Nein«, antwortete Aaron.
Abraham ließ Verena los. »Ich gebe es auf. Was willst du?«
»Das Haus. Es ist, wie soll ich sagen, meine familiäre Verpflichtung, es anzunehmen.« Sein Gesicht verzog sich zu einem schiefen Lächeln.
In diesem Moment war ich froh über meinen Entschluss, niemals Kinder in diese Welt zu setzen. Aaron spielte mit seinem Vater, aber niemand im Raum außer ihm wusste etwas von den Spielregeln. Wollte er sich für etwas rächen? Wollte er seinen Vater erpressen? Es war offensichtlich, dass sich nicht einmal Abraham und Verena das Verhalten ihres Sohnes erklären konnten. Und sie hatten ihn schließlich gemacht.
Abraham stand auf. »So sei es. Es geschieht gegen meinen ausdrücklichen Wunsch.«
Er ging langsam um den langen Tisch herum und blieb einen Moment dicht hinter seinem Sohn stehen. Dann beugte er sich zu ihm. »Es wird dir kein Glück bringen.«
Verena nickte uns mit einem unsicheren Lächeln zu und erhob sich ebenfalls. Beide gingen hinaus. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, schob Utz Aaron die Unterlagen zu. »Bitte sehr.«
Aber Aaron reichte sie ihm zurück. »Ziehen Sie diesen Fall für mich durch. Ich will das Haus. Koste es, was es wolle.«
Utz deutete auf mich. »Herr Vernau wird das übernehmen. Es wird ein langer, schwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang. Das können Jüngere besser.«
Aaron grinste mich an. »Gut. Wann kann ich eigentlich anfangen zu renovieren?«
»Ich muss mich erst einarbeiten. Geben Sie mir ein paar Tage. Vorläufig würde ich jedoch nichts unternehmen, was den Liegenschaftsfonds überraschen würde.«
»In Ordnung.«
Utz schraubte den Federhalter auf. »Sie nehmen das Erbe also an?«
»Ja.«
»Dann bitte ich Sie, hier zu unterschreiben.«
Ich hob die Hand. »Einen Moment noch. Sie wissen, was gemeinnützig bedeutet?«
»Klären Sie mich auf.«
»Behindertenverbände, Sportvereine, Tierheime, Frauenhäuser zum
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