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Das Kleine Buch Der Lebenslust

Das Kleine Buch Der Lebenslust

Titel: Das Kleine Buch Der Lebenslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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die ihm in der schönen Blume begegnet, auch wahrzunehmen, sie zu schauen, sie zu betasten und sie zu riechen. Dann erfährt er, dass er nicht nur Lust über die Blume empfindet, sondern dass er an der Lust der Blume selbst Anteil hat. Er spürt die Lust, die in der Blume steckt und die nur eines Schlüssels bedarf, um für ihn erschlossen zu werden. Den Schlüssel, um die Lust in den Blumen zu erleben, bieten ihm seine fünf Sinne an. Er muss sie nur benutzen.

Die Sonne hinterm Wolkenhimmel
Bienen können die Sonne auch durch den Wolkenhimmel hindurch fühlen. Die Dichterin Hilde Domin macht daraus einen Wunsch:
 
„Wer wie die Biene wäre
Die die Sonne
Auch durch den Wolkenhimmel fühlt
Die den Weg zur Blüte findet
Und nie die Richtung verliert
Dem lägen die Felder im ewigen Glanz
Wie kurz er auch lebte
Er würde selten weinen.“
 
Wer das Licht auch durch den Nebel des Alltags hindurchschimmern sieht, wer den Glauben an die Helligkeit nicht aufgibt, auch wenn er im dunklen Loch seiner Depression sitzt, der findet auch mitten in seiner Traurigkeit und Unzufriedenheit den Weg ins Freie, oder, im Bild des Gedichts, zur Blüte, an der er sich satt saugen und an deren Schönheit er sich erfreuen kann. Es ist eine eigene Lebenskunst, diesen Weg auch dann zu finden, wenn ich innerlich aufgewühlt oder verletzt, wenn ich enttäuscht und verzweifeltbin. Die Blüten sind da, auch wenn es dunkel und neblig ist. Doch ich bräuchte ein inneres, instinktives Gespür wie die Biene, dass ich diese Blüten auffinde. Für den einen ist es die Musik, die er auf seinem CD-Player auflegt, um mitten im inneren Chaos sich an ihrer gestalteten Schönheit zu erfreuen. Für den andern ist es ein Bild, das er anschaut. Für mich sind es oft Worte aus der Bibel, die mir in schwierigen Situationen helfen. Das Bild Hilde Domins stimmt: Sie sind dann für mich wie eine Blüte unter einem wolkenverhangenen Himmel.
Wer diese Kunst gelernt hat, der sieht die Felder seiner Seele im ewigen Glanz liegen. Der erkennt den göttlichen Glanz seiner Seele, auch wenn sie durch Traurigkeit oder Kränkung verdunkelt ist, auch wenn Trostlosigkeit und Trauer sie einhüllen. Wie die Biene die Blüten immer und überall zu finden, an den Glanz der eigenen Seele zu glauben, auch wenn alles dagegen spricht – darum geht es. Der Glaube an das Licht, das in uns leuchtet, auch wenn man es nicht sieht, wird uns zu dem befähigen, was die Dichterin dem Menschen wünscht:
„Wie kurz er auch lebte
Er würde selten weinen.“

Gipfelerfahrung
„Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt.“ Joseph Freiherr von Eichendorff hat das gesagt. Wenn ich im Urlaub in den Bergen unterwegs bin und einen Gipfel erklommen habe, empfinde ich ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit. Und wenn ich in die wunderbare Bergwelt hineinschaue, dann bin ich begeistert und ergriffen von dem, was ich sehe. Und im Schauen spüre ich, dass mich etwas erfasst, was über diese Welt hinausgeht, dass es Geist ist, der mich bewegt, letztlich göttlicher Geist.
Der romantische Dichter Joseph Freiherr von Eichendorff sieht dort, wo ein Begeisterter steht, den Gipfel der Welt. Wer begeistert ist, vermag auch andere zu begeistern. Begeisterung ist das, was Abraham H. Maslow mit Gipfelerlebnis beschreibt. Der Begeisterte steht innerlich auf dem Gipfel, auch wenn er sich gerade im Tal seines Alltags befindet. Er verbreitet um sich eine Atmosphäre von Geist, von Lebendigkeit, von Intensität. Er öffnet mir die Augen für das Geheimnis des Lebens, für seine Schönheit und Einmaligkeit. Dort, wo ein Begeistertermich zu begeistern vermag, dort ist der Gipfel der Welt. Dort geschieht ein Gipfelerlebnis. Dort bricht Gottes Glanz in meine Seele ein.

Der Glanz des ersten Mal
Die christliche Tradition des „memento mori“ („Denke, dass du sterben musst“) empfiehlt uns die Vorstellung, dass jeder Tag der letzte sein könnte. Wir sollen daher jeden Augenblick bewusst leben und ihn dankbar auskosten. Ein griechisches Sprichwort gibt einen anderen Rat: „Beginne jeden Tag, als wäre es der erste. Beschließe jeden Tag, als wäre es der letzte.“ Zu Beginn des Tages sollen wir uns vorstellen, es wäre der erste Tag überhaupt, den wir leben. Natürlich wissen wir, dass es nicht der erste Tag ist. Aber wenn ich den Beginn des Tages bewusst so setze, als ob es der erste Tag meines bewussten und wachen Lebens wäre, dann werde ich achtsam und zugleich neugierig in den Tag hineingehen. Ich werde die

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