Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
kann man allein aufgrund der Vertrautheit Gerüche mögen, die andere als äußerst unangenehm betrachten. Wenn Bauer Bernd eine Frau sucht, kann er sich freuen, dass Kosmetikerin Karla, die der Fernsehsender ihm auf den Hof schickte, als Kind oft die Schulferien zwischen Kühen und Ziegen verbracht hat. Sie rümpft gar nicht die Nase, sondern findet den Duft nach Landwirtschaft, der ihn umweht, romantisch und sehr attraktiv, weil er schöne Erinnerungen an glückliche Kindheitstage wachruft. Andere Damen wären über den Kuhstallgestank wenig begeistert gewesen. Die Bewertung eines Duftes ist also nicht angeboren, sondern sozial geprägt. Um beim Beispiel der Rinder zu bleiben: Überall auf der Welt wird Rinderdung als durchaus unangenehm riechendes Produkt betrachtet. Außer in Afrika, wo viel Rinderzucht betrieben wird. Dort wird Kuhmist mit Macht und Ansehen assoziiert – wer am stärksten stinkt, hat die meisten Rindviecher und damit den größten Reichtum.
Global betrachtet gilt eine einfache Formel: Was fremd ist, stinkt. Als »bata-kusai«, als »Butterstinker«,werden Europäer und Amerikaner von den Japanern beschimpft, weil sie mehr Schweißdrüsen als die Asiaten besitzen und mit dem Schweiß mehr Fettsäuren auf die Haut gelangen, die dann zu stinkender Buttersäure zersetzt werden. Würde ein Japaner derart stechend und ranzig riechen, wäre das gewiss ein Grund, ihn vom Militärdienst zu befreien – meint ein japanischer Autor. Aber auch wir Westeuropäer sind nicht sonderlich zurückhaltend mit unseren Urteilen: »Alle Neger stinken«, verkündete schon Kant, der große Aufklärer. Eine Erkenntnis, die besonders erstaunt, weil in Königsberg, seiner Heimatstadt, die er niemals verließ, kein einziger »Neger« lebte. Eskimos stinken nach Tran, Inder nach Curry und Deutsche nach Kohl, weshalb sie auch »Krauts« heißen. Angeblich stanken die Juden, aber auch die Christen, die nach Weihrauch rochen, und die Armen sowieso, weil sie in unbelüfteten, engen Quartieren hausen mussten. Ob nun aus Armut, aufgrund unterschiedlicher Rasse oder Religion: Mit dem vermeintlichen Gestank werden Verachtung, Vorurteile oder sogar Hass begründet.
»Alle Fremden stinken« erklären unumwunden die Dayaks, ein Volk, das im indonesischen Dschungel lebt. Damit meinen sie nicht nur Europäer oder andere Exoten, die zu viele Kleider tragen und sich nicht zweimal täglich im Fluss baden. Nein, sie meinen auch Malaien, Chinesen und sämtliche benachbarten Stämme, kurz gesagt: alle anderen. Aber statt die Fremden nun einfach zu verachten und zu meiden, haben sie eine Strategie zur olfaktorischen Integration entwickelt. Dazu benutzen sie ausgerechnet eine Frucht, deren grausamer Gestank legendär ist: die Durian. Sie riecht dermaßen nach einer Mischung aus Käse, Schweißfüßen und Kot, dass sie in Hotels und Fluggesellschaften Südostasiens Hausverbot hat. Die Dayaks hingegen lieben ihren Gestank als einen vertrauten Duft, den sie Fremden nicht vorenthalten wollen. Sie reiben alle Gäste mit dem Fruchtfleisch der Durian ein und machen sie auf diese Weise zu Einheimischen.
Frauen riechen nach Maiglöckchen
und Männer nach Veilchen
Das stimmt tatsächlich – wenn auch gänzlich im Verborgenen. Beides ist insofern sensationell, weil beim Wahrnehmen der Düfte weder eine männliche noch eine weibliche Nase eine Rolle spielt. Als erste Forscher weltweit haben wir 2005 in unserem Labor an der Ruhr-Universität Bochum zeigen können, dass die Riechrezeptoren aus der Nase in allen Organen unseres Körpers zu finden sind und dort bisher völlig unbekannte, lebenswichtige Funktionen erfüllen. Dabei hatten die Wissenschaftler Linda Buck und Richard Axel, die im Jahre 2004 den Medizin-Nobelpreis erhielten, noch geschrieben, die Riechrezeptoren würde man ausschließlich in der Nase finden. Ein belgischer Kollege hatte jedoch bereits erste Spuren im männlichen Hodengewebe gefunden. Also fragten wir uns: »Kann das stimmen? Und was machen Riechrezeptoren ausgerechnet im Hoden?« Wir begannen zu forschen und fanden nach ungezählten Experimenten die Antwort, die unser Labor weltberühmt machen sollte: Spermien sind mit Riechrezeptoren ausgestattet, um das weibliche Ei zu finden. Das weibliche Ei wiederum sendet einen Lockstoff aus und der riecht – nach Maiglöckchen. Nicht nach der richtigen Blume, sondern nach einer synthetischen Variante. Ohne diesen Duft schwammen die Versuchsspermien ziellos umher. Gaben wir aber
Weitere Kostenlose Bücher