Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
Maiglöckchenduft als Wegweiser in die Lösung, folgten alle der Duftspur und verdoppelten sogar ihre Geschwindigkeit.
Eine Form der chemischen Kommunikation, die eigentlich sehr logisch ist. Wie sonst sollten sich das winzige Ei und die noch kleinere Samenzelle in den unendlichen Weiten und der ewigen Dunkelheit von Uterus und Eileiter jemals finden? Damit man sich das einmal vorstellen kann: Wäre das Spermium so groß wie eine Erbse und der Eileiter um denselben Faktor vergrößert, dann würde er sich zu einer dreißig Kilometer langen Röhre mit dem Durchmesser einer vierspurigen Autobahn aufblähen. Auch wenn ein Millionenheer von Spermien an den Start ginge – dreiundvierzig Millionen pro Milliliter, wie dänische Forscher erst kürzlich gezählt haben – ein Rendezvous wäre ein Glückstreffer. Auf ein solches Lotteriespiel kann sich die Natur auf keinen Fall verlassen. Unsere neuesten Forschungen zeigen sogar, dass Lockstoffe den Spermien nicht nur als Wegweiser dienen, sondern sie direkt bei der Befruchtung der Eizelle unterstützen, indem sie zum Beispiel die Schwimmbewegungen beeinflussen. Hierfür stehen den Spermien etwa zwanzig weitere Riechrezeptoren zur Verfügung. Wir vermuten deshalb, dass die Eizelle ein ganzes Bouquet an Düften aussendet. Angesichts der Übereinstimmung der Rezeptoren in der Nase und in den Spermien sollte man bei Männern, die zeugungsunfähig sind, überprüfen, ob sie den synthetischen Maiglöckchen-Duft riechen können. Wenn nicht, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass auch die Spermien Schwierigkeiten haben, den Lockruf der Eizelle wahrzunehmen.
»Wo könnten sich sonst noch Riechrezeptoren im Körper verstecken?«, fragten wir uns anschließend und kamen über die Spermien darauf, benachbartes Gewebe zu untersuchen: die Prostata. Tatsächlich entdeckten wir hier den Veilchenrezeptor aus der Nase. Natürlich kommt Veilchenduft im menschlichen Körper nicht vor, daher suchten wir nach einem chemisch verwandten Molekül und wurden fündig mit einem testosteronähnlichen Stoff. Beide chemischen Substanzen, Veilchenduft und dieser Stoff, passen wie zwei annähernd identische Schlüssel in das Schloss des Rezeptors und aktivieren ihn. Er sendet daraufhin ein Signal aus, das das Wachstum der Zellen stoppt. Besonders viele dieser Rezeptoren fanden wir in Prostatakrebszellen. Als wir dieser Spur weiter folgten, machten wir eine neue aufregende Entdeckung: In Gegenwart des Veilchenduftes hörten die Zellen auf, sich zu teilen. Der Tumor im Reagenzglas stellte tatsächlich sein Wachstum ein. Ein kleines Wunder, das eines Tages die Krebstherapie revolutionieren könnte.
Was wir zufällig entdeckten, hat offenbar System. In vielen Teilen des Körpers konnten wir inzwischen Riechrezeptoren aus der Nase nachweisen und wir sind sicher, dass Duftmoleküle auch auf diese Rezeptoren als chemische Signalstoffe wirken. Zum Beispiel in unserer Haut, wo sie mit der unmittelbaren Umgebung in Kontakt kommen, aber auch in der Leber oder im Herzen, wo sie auf Bestandteile im Blut reagieren. Duftstoffe stellen damit ein neues, bisher völlig unbekanntes Instrument dar, die Funktion von Organen zu steuern. Selbst im menschlichen Darm haben Kollegen einige aus der Nase bekannte Riechrezeptoren entdeckt, die erklären könnten, warum zum Beispiel Kräuter und Gewürze sich so stark auf die Verdauung auswirken.
Die Erforschung der Riechrezeptoren bleibt ein überaus spannendes Gebiet der Wissenschaft und geht über das, was in der Nase passiert, weit hinaus. Unsere Entdeckung eröffnet großartige Wege bei der Erkennung von Krankheiten und der Entwicklung neuer Medikamente. Welche Erfolge die Medizin damit erzielen kann, ist noch gar nicht abschätzbar.
Was weiß ein Baby
schon über Gerüche?
Babys kommen als kleine Nasen-Genies auf die Welt. Schon während der Schwangerschaft üben sie zu schmecken, zu riechen und zu hören, auch wenn neuere Untersuchungen die Hoffnung zerstört haben, Ungeborene könnten schon den Feinheiten einer Mozart-Sonate folgen. Tatsächlich dämpft das Fruchtwasser die Töne so, dass sie nur Rhythmen wahrnehmen können – außer: Die Mutter singt selbst. Auch mit dem Sehen ist bis zur Geburt noch nicht so richtig viel los, schließlich gibt es wenig Input in der dunklen Behausung. Deshalb entwickelt sich die Verbindung vom Auge zum Gehirn erst in den ersten Lebenswochen nach der Geburt. Dagegen ist der Geruchssinn schon ab der 26. Schwangerschaftswoche voll
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