Das kleine Gespenst
allein, Jawohl, das ist sehr vernünftig, das mache ich. Und zwar krieche ich diesmal nicht in das Uhrengehäuse (schon wegen der Glocke nicht!), sondern ich suche mir ein Versteck auf dem Dachboden,"
Die nächsten Tage und Nächte verbrachte das kleine Gespenst also auf dem Dachboden des Eulen-berger Rathauses. Dort gefiel es ihm gar nicht schlecht, Auch hier gab es Staub, auch hier gab es Spinnweben. Zwar hingen sie längst nicht so dicht und tief von der Decke herab wie auf dem Eulenstein, aber trotzdem fühlte sich das kleine Gespenst hier fast wie zu Hause.
Vor allem tat ihm die Ruhe gut! Nach den Abenteuern der letzten Zeit war es dankbar dafür, dass es hier oben von niemandem gestört wurde. Niemand erschrak vor ihm, niemand jagte es, niemand wollte es festnehmen.
Dabei brauchte das kleine Gespenst über Langeweile nicht zu klagen.
Sobald es erwachte, huschte es einfach an eines der Bodenfenster und schaute hinaus, Es blickte entweder hinab auf den Grünen Markt, wo die Gemüsefrauen mit ihren Körben voll Grünzeug saßen und Zwiebeln und Möhren, Radieschen und Sellerie, Knoblauch und Kopfsalat feilboten - oder es sah nach der anderen Seite hinaus, auf den Rathausplatz, wo der Stadtbrunnen plätscherte und ein Schutzmann mit einer weißen Mütze stand, der alle paar Augenblicke die Arme in eine andere Richtung streckte: Dann kamen von beiden Seiten die Autos über den Platz gerollt, Lastzüge, Lieferwagen, Personenautos, manchmal ein Omnibus, hin und wieder auch einige Radfahrer, junge Burschen auf ihren Motorrädern, einmal die Feuerwehr, drei- oder viermal das gelbe Postauto.
„Lustig, wie es da unten zugeht!", dachte das kleine Gespenst. „Ob der Mann mit der weißen Mütze ein Zauberer ist? Er streckt bloß die Arme aus und schon kommen von beiden Seiten die Kutschen herbei - diese seltsamen Kutschen aus Blech und Glas, die ganz ohne Pferde fahren. Wie das nur möglich ist, dass eine Kutsche ganz ohne Pferde fährt? Der Uhu Schuhu wird meinen, ich binde ihm einen Bären auf, wenn ich ihm das erzähle."
Der Uhu Schuhu!
Wie lang hatte das kleine Gespenst nicht mehr an ihn gedacht! Und jetzt plötzlich fiel er ihm wieder ein.
„Ach du liebe Güte, der Uhu Schuhu! Ich hätte ihn fast vergessen. Ob ich ihn jemals wiedersehe? Wenn ich daran zurückdenke, wie es war, wenn der Herr Schuhu und ich in den Zweigen der alten Eiche saßen und uns beim Mondschein Geschichten erzählten, wird mir das Herz schwer. Ich glaube fast, ich bekomme schon wieder Heimweh. Heimweh nach früher, nach meinen Zeiten als Nachtgespenst ..."
Am nächsten Sonntag ging es in Eulenberg hoch her, Alle Häuser waren mit Laubgewinden und Fahnen geschmückt. Über dem Rathaustor hatte der Stadtgärtner einen mächtigen Fichtenkranz aufgehängt, der ein rotes Schild mit einer goldenen 325 umschloss. Ähnliche, allerdings kleinere Schilder mit einer goldenen 325 auf rotem Grund hingen über den meisten Haustüren und in den Schaufenstern der Geschäfte. Daraus konnte jedermann ersehen, dass man heute in Eulenberg eine 325-Jahr-Feier feierte.
Bereits in den frühen Morgenstunden waren die ersten auswärtigen Besucher angekommen. Im Lauf des Vormittags fanden sich immer neue und neue Gäste ein. Sie strömten in hellen Scharen herbei. Die einen mit dem Auto, die anderen mit der Eisenbahn oder im Omnibus. Und die vereinigte Landjugendgruppe von Ober- und Nieder-Geiselfing kam sogar auf einem von einem Traktor gezogenen, festlich mit Blumen und bunten Bändern behangenen Leiterwagen dahergerattert. Alle wollten das große historische Festspiel sehen und drängten zum Rathausplatz.
Das Festspiel begann mit dem Einzug der schwedischen Armee vom Grünen Markt her, An der Spitze marschierten drei Fahnen schwingende Landsknechte. Ihnen schloss sich, mit Spießen und altertümlichen Flinten bewaffnet, der Männergesangverein „Harmonie 1890" als Fußvolk an. Die neunzehn Mann starke schwedische Reiterei wurde von den Mitgliedern des Eulenberger Reit- und Fahrklubs gestellt. Auch für passende Feldmusik war gesorgt, denn nun folgte - in Pluderhosen und bunten Jacken, mit falschen Barten und wallenden Federhüten - die Stadtkapelle. Sie spielte abwechselnd den finnländi-schen Reitermarsch und die von ihrem Kapellmeister eigens für den heutigen Anlass komponierte Gene-ral-Torsten-Torstenson-Jubiläums-Fanfare.
Der Turnverein und die Metzgerburschen-Vereinigung, der Handlungsgehilfen-Verband und die Kleingärtner, die freiwillige
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