Das kleine Gespenst
leuchteten.
Wochentags herrschte im Rathaus von Eulenberg immer reges Leben. Beamte und Angestellte eilten von Tür zu Tür, der Ratsdiener schleppte Stöße von Akten umher, auf den Gängen warteten alle möglichen Leute in allen möglichen Angelegenheiten. Doch heute, am Sonntagmittag, war kein Mensch hier. Das kleine Gespenst konnte sich ungestört im ganzen Rathaus umsehen. Es öffnete alle Türen und blickte in alle Räume.
Dabei fiel ihm auf, dass in jedem Zimmer das gleiche Bild an der Wand klebte. Die Bilder zeigten in leuchtenden Farben - den schwedischen General Torsten Torstenson! Groß und breitspurig saß er auf seinem Apfelschimmel und schwenkte den Feldherrnstab in der rechten Hand. Sein grüner Reitermantel bauschte sich im Wind, die Federn an seinem Hut leuchteten mit dem roten Knebelbart um die Wette.
Unter das Bildnis des Generals war in großen Buchstaben etwas hingedruckt, was das kleine Gespenst nicht entziffern konnte. Es hatte ja niemals lesen und schreiben gelernt und konnte nicht ahnen, dass es sich bei den „Bildern" um Werbeplakate handelte, auf denen zu lesen stand:
„Was haben die bloß mit dem Torstenson, dass sie ihn überall hinkleben?", dachte das kleine Gespenst. „Hie und da mal ein Bild von ihm - meinetwegen. Aber in jedem Zimmer, auf jedem Gang und in jeder Nische im Treppenhaus? Das ist einfach zu viel!"
In den Räumen der Stadtkämmerei entdeckte das kleine Gespenst auf einem der Schreibtische einen schwarzen Filzstift. Im nächsten Augenblick wusste es, was es zu tun hatte.
Es lieh sich den Filzstift aus und malte dem General Torstenson auf dem Plakat in der Stadtkämmerei einen schwarzen Vollbart. Dann huschte es in das nächste Zimmer. Dort versah es das Bildnis des Generals mit einer mächtigen Gurkennase, auf der eine Warze prangte.
„Das bringt etwas Abwechslung in das ewige Einerlei!", kicherte es.
So schnell es sich machen ließ, eilte das kleine Gespenst von Plakat zu Plakat. Mit flinken Strichen malte es Torstenson hier ein Paar Eselsohren an den Kopf, dort eine schwarze Augenklappe, wie sie die Seeräuber tragen.
Die Sache machte ihm großen Spaß.
Immer neue Verzierungen ließ es sich einfallen: Bockshörner, riesige Glotzaugen, einen Spitzbauch, ein Hirschgeweih, eine qualmende Tabakspfeife, langes struppiges Borstenhaar, einen Ring durch die Nase und manches andere, Kein Wunder, dass es vor lauter Eifer vergaß, auf die Zeit zu achten.
Plötzlich, das kleine Gespenst befand sich gerade im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters, schlug es vom Rathausturm ein Uhr Mittag! Höchste Zeit für das kleine Gespenst sich ein Plätzchen zu suchen, wo es die nächsten dreiundzwanzig Stunden verschlafen konnte, ohne gestört zu werden.
„Bis in den Geheimgang schaffe ich's ganz bestimmt nicht mehr", dachte es, „das ist viel zu weit. Ich merke schon, wie mir wieder schwindlig wird ..."
In einer Ecke der holzgetäfelten Amtsstube stand eine alte, mit kunstvollen Eisenbeschlägen versehene Ratstruhe. Darin hatte man früher wichtige Briefe und Rechnungen aufbewahrt, Aber jetzt war die Truhe leer, sie stand nur zum Schmuck des Raumes da.
„Das ist die Rettung!", dachte das kleine Gespenst.
Es schlüpfte mit letzter Kraft in die Truhe. Der Deckel schloss sich über ihm und gleich darauf schlief es ein.
Als das kleine Gespenst am nächsten Mittag erwachte, hörte es, wie im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters einige Männer erregt miteinander sprachen. Vorsichtig hob es den Deckel der Ratstruhe ein wenig an und blickte hinaus.
Im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters befanden sich drei Personen: der Herr Bürgermeister selbst, der hinter dem Schreibtisch in seinem mit rotem Leder gepolsterten hohen Sessel saß und eine Zigarre rauchte; ihm gegenüber stand, mit der Dienstmütze unter dem Arm, der Leiter der Stadtpolizei; und am Fenster lehnte, die Hände über der Brust verschränkt, der Herr Kriminaloberwachtmeister Holzinger.
Der Herr Bürgermeister war äußerst schlechter Laune, das sah man ihm an.
„Ich sage es Ihnen noch einmal!", rief er und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Es ist eine unbeschreibliche Frechheit, alle Plakate im Rathaus auf derart gemeine und niederträchtige Weise zu verunstalten! Ich verlange von Ihnen, dass dieser Schmierfink gefunden wird. Und zwar schleunigst! Das sind wir dem Ansehen unserer Vaterstadt schuldig. Und wenn Sie das nicht fertigbringen, mein Lieber" - damit wandte er sich an den Leiter der
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