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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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redete keinen Ton. Ingrid saß still. Ihre Müdigkeit und auch die Erkältung waren wie weggeblasen. Sie fühlte, daß sie helfen konnte,ein Kunstwerk zu schaffen, und war glücklich, daß sie mit dabei sein durfte.
    Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als Inge den Kohlestift weglegte.
    „So, kleine Seejungfrau. Für heute will ich dich nun nicht mehr quälen. Jetzt darfst du dich anziehen – und dann müssen wir mal sehen, was wir als Honorar für dich haben – für’s Modellsitzen.“
    Inge war in ihre Kleiderecke gegangen und kramte. „Hier, mein Kind. Sie sind allerdings eine Nummer zu groß für dich, aber daran ist nun nichts zu ändern.“
    Es war ein Paar hübsche, feste Schuhe.
    Ingrid nahm sie zögernd entgegen. Sie stand blutübergossen da. Eine unerträgliche Scham befiel sie, daß sie gezwungen war, Wohltaten anzunehmen. Daheim war es für Tante Margrete und Onkel Peter immer Ehrensache gewesen, ohne fremde Hilfe durchzukommen. Und jetzt sollte sie, Ingrid, die bei ihnen aufgewachsen und von ihnen erzogen war – jetzt sollte sie genötigt sein, Schuhe von… Nein, was waren das nur für Gedanken… von Fremden? Nein. Inge war keine Fremde. Keiner stand ihr so nahe wie Inge. Ingrid sagte sich, daß sie sich das Honorar verdient hatte. Sie wußte, daß sie ein gutes Modell war. Inge hatte es ihr so oft gesagt. Sie konnte ausgezeichnet stillsitzen, sie konnte sehr gut die Stellung beibehalten und auch den Ausdruck, der von ihr gefordert wurde.
    Inge las ihre Gedanken. „Da kannst du mal sehen, wie wir dich ausnützen!“ lachte sie. „Deine Tante läßt dich alle Hausarbeit machen, ohne einen Öre zu bezahlen, und ich lasse dich als Modell arbeiten und speise dich mit einem Paar alter Schuhe ab!“
    „Ach Inge – wie kannst du so etwas nur sagen? – Liebste Inge, ich müßte zehn Jahre hintereinander Modell sitzen, wenn ich alles zurückzahlen wollte, was du für mich getan hast. Übrigens macht es mir Spaß, Modell zu sitzen.“
    „Das merke ich. Und du kannst dich darauf verlassen: ich werde dich künftighin tüchtig mißbrauchen!“
    Die Stunden liefen viel zu schnell dahin. Inge machte Mittag. Es schmeckte unglaublich gut, weil man wieder an dem gemütlichen kleinen Tisch saß und Dixi unerlaubte Kosthäppchen in den Mund steckte.
    Das hätte Tante Agate sehen müssen. Sie wäre vor Schreck in Ohnmacht gefallen und hätte gesagt, das gäbe Labskaus genug für zwei Personen am nächsten Tag, und es wäre eine Sünde und eine Schande, ein Tier mit so was Gutem zu füttern…
    „Wie geht’s mit dem Dänischen, Ingrid?“ fragte Inge, als sie mit dem Essen fertig waren.
    „Oh, gar nicht so übel. Ich verstehe jetzt schon eine ganze Menge. Ich muß ja.“
    „Aber deine Tante spricht wohl deutsch?“
    „Nicht so gut wie du. Und oft vergißt sie es auch und redet dann dänisch mit mir.“
     „Das ist eigentlich ganz gut. Desto mehr lernst du. Und da du ein ganzes Jahr hierbleiben sollst, mußt du es ja lernen.“
    Ein ganzes Jahr – Ingrid wagte nicht, sich das auszumalen. Ein Jahr in der dunklen, trostlosen, staubigen Wohnung! Ein Jahr lang Tante Agate unaufhörlich über Teuerung und Sparsamkeit lamentieren zu hören. Ihr war es jetzt schon, als würde sie eines Tages daran ersticken, ebenso an den engen, finsteren Räumen wie an dem ewigen Gejammer.
    „Du, Inge – kannst du begreifen, weshalb Tante Agate mich eigentlich nach Kopenhagen eingeladen hat?“
    Inge verstand es nur zu gut. Tante Agate hatte ihrer Hausgehilfin gekündigt. Jetzt hatte sie ja eine kostenlose Hilfe, und obendrein noch eine, die ganz und gar von ihr abhängig war.
    „Nein, ich weiß nicht“, antwortete sie nur. Ingrid setzte ihre eigenen Gedankengänge fort.
    „Ich hatte mir vorgestellt – ich hatte geglaubt, ich dürfte hier in die Schule gehen. Aber…“
    „Du bist doch mit der Volksschule fertig, nicht wahr?“
    „Ja, das bin ich.“
    „Was würdest du denn gern lernen, Ingrid? Was möchtest du werden? Was für eine Ausbildung wünschst du dir?“
    „Ich weiß nicht recht. Ich kann ja nichts Besonderes. Ich kann nicht zeichnen wie du – nicht singen und nicht…“
    „Ich frage nicht, was du nicht kannst. Ich frage, was du kannst.“
    „Ich kann Geschirr aufwaschen.“
    „Ja, und du hast Talent zum Kochen. Und du kannst mit kleinen Kindern umgehen, nicht wahr?“
    „Ja. Eigentlich würde ich furchtbar gern Kinderpflegerin werden. Es müßte irgend etwas mit Kindern oder mit Tieren

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