Das kleine Reiseandenken
sein.“
„Vielleicht Tierpflegerin?“
„Tierpflegerin? Was ist das?“
„Weißt du das nicht? In den letzten Jahren hat man angefangen, Krankenschwestern für Tiere auszubilden.“
„Oh, das wäre sicher was für mich!“
„Ja, siehst du. Man muß erst ein Ziel haben, und dann muß man sehen, wie man es erreicht. Nimm dieses Jahr in Kopenhagen ruhig mit. Eines ist auf alle Fälle sicher: du lernst bei deiner lieben Tante sparsam wirtschaften.“ Da mußte Ingrid lachen.
„Ja, ich kann bald Luftsuppe und Wasserklöße kochen“, lachte sie. „Und eines schönen Tages komme ich bei dir an und bitte um die angetrockneten Reste in Dixis Napf, um Suppe daraus zu kochen. Wenn man sich vorstellt, daß es zwei so verschiedene Menschen gibt wie dich und Tante Agate…“, fügte sie hinzu.
„Tja“, meinte Inge, „nun darfst du um Himmels willen nicht denken, Tante Agate sei typisch für Dänemark. Im Gegenteil, sie ist eine betrübliche Ausnahme. Und ich bin wohl auch so ‘n bißchen anders als andere Leute. Das behaupten wenigstens meine Freunde.“
„Das glaube ich nicht so ganz“, meinte Ingrid. „Ich finde, Herr Hall und seine Frau sind ähnlich wie du.“
„Meinst du? Ja, vielleicht. Ingrid, es wird mir sauer, aber ich muß dich jetzt nach Hause bringen. Wir dürfen Frau Jespersen nicht zu lange warten lassen, sonst darfst du am Ende nächsten Mittwoch nicht wieder weg. Und da wollen wir doch in den Zoo gehen!“
„Oh, wie ich mich freue! Es fällt einem gar nicht schwer, zu arbeiten, wenn man weiß, daß man sich auf einen freien Tag freuen darf.“
„Sag mal, Ingrid – offen und ehrlich: hast du überhaupt Geld?“ Die Röte stieg Ingrid in die Wangen. Inge berührte hier einen sehr wunden Punkt.
„Nein. Ich dachte ja, daß – daß Tante…“
„Schau – hier hast du zwanzig Kronen. Ja, mein Kind, ich verstehe, es ist nicht schön für dich, aber du mußt mich auch verstehen. Der Gedanke, daß du nicht einmal Geld für eine Briefmarke hast, ist mir unerträglich. Also, sei schon lieb und nimm es an. – Du kannst übrigens diese Briefmarken haben, die sich in meiner Tasche herumtreiben – laß mal sehen – fünfzig – achtzig – eine Krone – einsvierzig – sieh mal an, das genügt für einen Deutschlandbrief!
Steck alles ein!“
Ingrid nahm die Scheine und die Briefmarken zögernd in Empfang. Aber gleichzeitig fiel ihr ein, daß sie jetzt endlich den Brief an Tante Margrete und Onkel Peter abschicken konnte. Der lag schon eine ganze Woche in ihrer Tasche.
Inge brachte sie nach Haus. Sie gingen zu Fuß durch den großen Park und durch breite, schöne Straßen. Dixi hüpfte und sprang neben ihnen her, verrückt vor Lebenslust und vor Glück, beide Freundinnen neben sich zu haben.
Dann wurden die Straßen schmäler, die Häuser grauer, die Luft war dumpfer – und nun stand Ingrid wieder vor der Haustür bei Tante Agate.
Aber sie fühlte sich trotzdem wohler. Sie hatte gebadet und hatte neue Schuhe an; sie hatte gut zu Mittag gegessen und zwanzig Kronen in der Tasche. Modell gesessen hatte sie auch, und am nächsten Mittwoch sollte sie wieder mit Inge zusammen sein.
Vielleicht hielt sie doch durch – dies eine Jahr…
Rebellion und Herzeleid
„Was habt ihr gestern gemacht?“ fragte Tante Agate am nächsten Morgen beim Kaffee.
Ingrid hatte neuen Mut und wollte nicht lügen.
„Ich habe gebadet und mein Haar gewaschen, und eine Tablette gegen Erkältung hat mir Fräulein Skovsgaard auch gegeben. Ich hatte ja solch fürchterlichen Schnupfen.“
„Ich möchte wirklich mal wissen, wie du das machst, in dieser Hitze Schnupfen zu kriegen.“
„Ich hatte nasse Füße bekommen. Meine Schuhe waren kaputt.“
„Warum hast du nichts davon gesagt?“ Ingrid sah der Tante offen ins Gesicht.
„Ich hatte Angst, du würdest neue Sohlen zu teuer finden.“
„Bist du unverschämt?“
„Nein, Tante. Ich habe nicht die Absicht, unverschämt zu sein. Ich antworte nur auf das, was du mich fragst.“
„Was machst du sonst so bei Fräulein Skovsgaard?“
„Wir unterhalten uns, und sie bringt mir Dänisch bei.“
„Wovon redet ihr?“
„Gestern haben wir davon geredet, was ich werden will, wenn ich groß bin.“
„Was geht sie das eigentlich an?“
„Sehr viel. Noch nie hat mir jemand so viel Gutes getan wie Inge Skovsgaard.“
Ingrids Stimme klang klar und fest.
„Aha! Weil sie dich vierzehn Tage als Haushaltshilfe ohne Lohn bei sich gehabt hat? Weil sie
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