Das kleine Reiseandenken
München mit Schulen und Museen, München – eine alte Stadt, ein Stück Kultur voll Traditionen und doch ewig jung.
Dort würde sie wohnen, sie, die kleine Ingrid. Dort würde sieeine der vielen Möglichkeiten ausnutzen und einen Beruf erlernen. Dort würde sie ihre Zukunft aufbauen.
In einer großen Stadt in ihrem eigenen Land…
Sie stand an diesem Abend am Fenster. Weit, weit aus der Ferne klangen die Rathausglocken herüber, die ihre Melodie abspielten und zehn langsame, dröhnende Schläge hören ließen.
Ingrid summte ganz leise vor sich hin. Und dann sang sie gedämpft: „Herrliches, herrliches Kopenhagen…“
Die Türme reckten sich dunkel zum Himmel auf. Die Leuchtreklamen flimmerten. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen, fröhlichen, lächelnden, gemütlichen Menschen. Ingrid hatte diese Stadt liebgewonnen. Ihre Schönheit, ihren Humor, den ganzen milden Geist.
Und dennoch! Fremd war sie ihr trotz allem. Schön – und fremd. Jetzt aber würde sie in ihr eigenes Land zurückkehren. Da mußte sie auf einmal lächeln. „Worüber lächelst du?“ fragte Groß Ingrid.
„Ach – mir fiel nur ein…“, sagte Klein Ingrid. „Der arme kleine Dixi muß jetzt auf deutsch bellen lernen, sonst versteht ihn ja kein deutscher Hund.“
Zwei Monate später
Es war noch dunkel, als Ingrid aufwachte. Sie merkte, daß Elke und Monika ganz leise aufstanden und lautlos aus dem Zimmer schlichen. Ingrid lächelte. Wenn eine der beiden Geburtstag hatte war sie es, die früh und leise aufstand, sich schnell fertig machte und nach unten ging, um Tante Margrete bei dem Geburtstagstisch zu helfen.
Aber heut, an diesem kühlen, dunklen Novembertag, war sie es selbst, die gefeiert werden sollte. Ihretwegen hatte es gestern in der Küche nach frischgebackenem Napfkuchen geduftet, ihretwegen herrschte jetzt unten im Wohnzimmer eine fröhliche Emsigkeit.
Ingrid wurde heute sechzehn Jahre.
„Du bist ein Glückspilz“, hatte Onkel Peter gestern abend gesagt. „Sechzehn Jahre! Beinahe das ganze Leben hast du vor dir. Sechzehn Jahre, hübsch und gesund und glücklich! Ja, denn jetzt bist du doch glücklich, Ingrid?“
Ja, Ingrid war glücklich. Die schlimme Zeit bei Tante Agate gehörte der Vergangenheit an. Seit dem Tag, als sie zu Inge zurückkam, war alles wunderbar gewesen. Sie hatten tüchtig geschuftet, die große und die kleine Ingrid, denn ein Umzug in ein anderes Land war eine komplizierte Sache. Was gab es doch alles zu packen, zu ordnen, zu schicken!
Jetzt standen Inges Siebensachen in einem Zimmer in JansWohnung in München. Bei dem Schauspieler Jan Gerhold, den Ingrid in vierzehn Tagen heiraten würde. Bis jetzt hatte Ingrid zu Hause bei Tante Margrete und Onkel Peter gewohnt, und Inge hatte ein Zimmer beim Nachbarn. Inge hatte unglaublich fleißig gearbeitet diese paar Monate, sie hatte in Herbstfarben geschwelgt, sie hatte auch reizende Porträts von den Zwillingen gemalt, und ein Bild von Ingrid, Elke und Monika draußen auf dem Felde beim Rübenernten.
Ingrid guckte auf den Wecker. Schon sieben! Ob sie jetzt aufstehen sollte? Sie durfte ja nicht zu früh nach unten kommen, durfte bei den Geburtstagsvorbereitungen nicht stören.
Plötzlich hob sie den Kopf und horchte. Ein Hund bellte direkt unter ihrem Fenster. Es konnte doch wohl nicht Dixi sein, so früh? Doch, dies war nicht die kleine Hündin von nebenan, auch nicht der große Wolfsspitz drüben beim Inspektor. Bestimmt war es Dixi!
Ingrid sprang aus dem Bett, und bevor sie Wasser ins Waschbecken reingelassen hatte, hörte sie das Trippeln von Hundepfoten auf der Treppe. Da wurde an die Tür gekratzt. Sie machte auf, und Dixi rannte ihr entgegen, sprang hoch, versuchte, ihr Gesicht zu lecken und wedelte wild mit seinem Stummelschwänzchen. Und dann stand Inge in der Tür.
„Herzlichen Glückwunsch, mein kleines Reiseandenken! Alles Gute für dein neues Lebensjahr!“
Ingrid wurde umarmt, und Inge drückte ihr einen kleinen Blumenstrauß in die Hand.
„Tausend Dank, Inge… daß du so früh kommst, ich dachte…“
„Was du dachtest, dachte Dixi anscheinend nicht, er hat mich nämlich um sechs geweckt und wollte unbedingt rüber zu dir. Als ich sah, daß in eurem Wohnzimmer Licht angemacht wurde, bin ich einfach losgegangen. Ich bin doch von deiner Tante Margrete zum Frühstück eingeladen!“
„Ich komme in zehn Minuten, Inge!“
„Und ich laufe nach unten, vielleicht kann ich ein bißchen helfen –
nein, sieh mal den
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