Das kleine Reiseandenken
da, so ein Frechdachs…“
Das letzte war an Dixi gerichtet. Er war auf Ingrids Bett gesprungen und rollte sich am Fußende bequem zusammen.
„Laß ihn bloß, Inge! Die Betten werden sowieso heute frisch bezogen!“
Inge ging kopfschüttelnd nach unten, Ingrid wusch sich und zog sich an, und Dixi holte seinen versäumten Morgenschlaf in Ingrids Bett nach.
Auf Tante Margretes selbstgebackenem Kuchen brannten sechzehn Kerzchen, und um den Kuchen lagen säuberlich eingepackte Geschenke in buntem Papier. Da war ein warmer Pulli von Tante Margrete und Onkel Peter, ein gesticktes Deckchen von Elke, zwei Taschentücher von den Zwillingen und eine Tafel Schokolade von Monika.
„Hier ist noch was“, sagte Inge. „Aber das Paket ist zu groß für den Frühstückstisch.“
Nanu, was hatte Inge sich jetzt einfallen lassen?
„Oh, Inge! Nein, Inge, du bist wohl verrückt! Nein, so was Hübsches! Und wie ich ihn brauche!“
Es war ein warmer, schöner Wintermantel, dunkelblau, mit einem kleinen Pelzkragen.
„Und grade jetzt, wo ich festgestellt habe, daß der alte Mantel hoffnungslos zu klein ist!“ Ingrid hatte schon die Arme in den neuen gesteckt.
„Au fein!“ rief Elke. „Jetzt kriege ich deinen alten!“
Ja, so war es immer gewesen. Die Kleidungsstücke wurden in der Reihenfolge Ingrid – Elke – Monika – Grete vererbt.
„Hier ist auch Post für dich“, sagte Tante Margrete. „Aus Dänemark!“
Eine Karte und ein dicker Brief wurden Ingrid gereicht. Die Karte war von Lise Hall. Und der Brief…
„Nein, Inge!“ rief Ingrid. „Jetzt schlägt es aber dreizehn! Guck dir das mal an!“
„Absender: Agate Jespersen“ stand auf der Rückseite. Das Kuvert enthielt ein buntes Halstuch und einen kleinen Brief.
Liebe Ingrid!
Ich gratuliere vielmals zum Geburtstag. Ich hoffe, daß mein Geschenk noch rechtzeitig ankommt. Ich kann ja erst abends nach Geschäftsschluß zum Briefkasten gehen. Hoffentlich geht es Dir gut. Mit mir ist nicht viel los. Mein Herz macht mir zu schaffen, und jede Arbeit strengt mich sehr an. Ja, ich merke eben das Alter. Ich wünsche Dir einen schönen Geburtstag.
Viele Grüße von
Tante Agate
„Was ist mit ihr wohl los?“ wunderte sich Elke. „Das alte Biest, denkt sie wohl, daß du aus lauter Mitleid zu ihr zurückkommst?“ Ingrid steckte langsam den Brief zurück ins Kuvert.
„Weißt du, Elke, eigentlich ist sie kein Biest. Sie ist – ja, sie ist nur ein unglücklicher Mensch. Was hast du damals in Kopenhagen gesagt, Inge? ,Tante Agate ist wie ein Stiefkind auf Erden, weil sie nur die Liebe zum Geld mitbekommen hat.’ Nicht, so war’s doch? Wie hattest du recht! Wenn ich es jetzt so gut habe, hier unter meinen eigenen Lieben, und mit dir, Inge, dann denke ich manchmal an die scheußliche, muffige Wohnung von Tante Agate, denke an das traurige Leben, das sie führt, ganz allein, ohne einen einzigen Menschen, der sie liebhat. Ja, und dann – dann kann ich wirklich nur Mitleid empfinden. Ich bin keine Spur böse mehr – sie tut mir nur leid!“
Inge nickte. Ihre Augen waren auf das junge Mädchen gerichtet. Ihre Stimme hatte einen so sanften, warmen Klang. Und wie hatte die kleine Ingrid gelernt, sich auszudrücken, die richtigen Worte zu finden!
„So, Kinder, kommt zu Tisch!“
Tante Margrete stand in der Tür mit der feinen, geblümten Kaffeekanne in der Hand. Jetzt kam auch Onkel Peter vom Kuhstall. Er war gerade noch mit dem Melken fertig geworden.
Und jetzt schmeckten die Brötchen, die frischen Eier und Tante Margretes Marmelade phantastisch gut.
Inge richtete die Augen auf das Geburtstagskind.
„Wenn wir das damals gewußt hätten, Ingrid“, sagte sie. „Damals, als wir in Flensburg die kleinen Affen fütterten!“
„Ja, wenn jemand mir damals gesagt hätte, in einem halben Jahr wirst du zusammen mit dieser netten Dame am Frühstückstisch daheim sitzen und Geburtstag feiern! Ist es nicht komisch, wie ein Zufall einem das ganze Leben umkrempeln kann?“
„Na, umgekrempelt ist dein Leben ja nicht – du bist in deinem eigenen schönen Zuhause, bei allen, die du liebhast…“
Ingrid nickte. „Stimmt! Gerade bei allen! Weil du auch dabei bist! – Ach, wenn Tante Agate eine Maus in der Ecke wäre, wenn sie sehen könnte, wie schön man es haben kann! Wenn sie – ja, wenn sie bloß lächeln lernen könnte! Ich glaube, sie ist nie in ihrem Leben so richtig fröhlich gewesen!“
„Wenn das stimmt, verstehe ich, daß du vor
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