Das Kloster der Ketzer
Winteräpfel! Eigenhändig und unter Einsatz meines Lebens heute Morgen aus dem Kellerregal stibitzt!« Er zwinkerte ihm zu. »Lass ihn dir schmecken!«
»Danke«, sagte Sebastian knapp und schmallippig. »Aber wegen mir brauchst du nicht zum Dieb zu werden!«
»War mir doch ein Vergnügen, zumal der Verdacht auf diesen faden Langeweiler von Andreas fallen wird, weil der doch kurz vor mir im Keller war und jeder weiß, dass er ganz verrückt nach Äpfeln ist«, erwiderte Lukas leichthin, und während er sich den Schemel heranzog und sich setzte, fügte er spöttisch hinzu: »Man muss immer in Übung bleiben, wenn man nicht einrosten will. Jemand hat mir mal gesagt, dass ein Talent immer nur so viel wert ist, wie man an Disziplin und Arbeit darin anzulegen bereit ist.«
Sebastian bedachte ihn mit einem nicht eben freundlichen Blick. »Es gibt auch Talente von sehr zweifelhafter Art, von denen man besser die Finger lässt«, sagte er bissig. »Zumindest wenn man Anstand im Leib hat!«
Verwundert zog Lukas die Augenbrauen hoch. »Nanu, so mürrisch heute? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Schlecht geschlafen?«
»Nein«, antwortete Sebastian knapp, und mit grimmiger Miene löffelte er den Brei in sich hinein.
»Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nichts hast«, sagte Lukas und verschränkte die Arme vor dem gesteppten Wams. »Also heraus damit, Sebastian! Irgendetwas ist dir doch heftig gegen den Strich gegangen, das sehe ich dir an. Mir kann man so leicht nichts vormachen.«
»Mir auch nicht!«, blaffte Sebastian zurück. »Und von dir lasse ich mich schon gar nicht für dumm verkaufen!«
Lukas machte ein verdutztes Gesicht. »Wie bitte? Wieso versuche ich, dich für dumm zu verkaufen?«
»Du bist ein Lügner!«, stieß Sebastian nun hervor und legte seine Hand auf den Apfel. »Du hast wohl geglaubt, mir Sand in die Augen streuen zu können. Bei anderen magst du ja mit deiner Täuschung durchkommen, aber bei mir nicht!«
Lukas wurde blass. »Wovon redest du?«
»Davon!«, rief Sebastian wütend und warf ihm den Apfel zu, jedoch mit wenig Schwung und auch nicht nach oben, dass er ihn leicht mit den Händen hätte auffangen können, sondern in den Schoß.
Lukas reagierte im Reflex, indem er die Beine auseinander riss, als wollte er zwischen ihnen ein unsichtbares Tuch spannen, damit die kostbare Frucht nicht zu Boden fiel. Doch da war nichts und der Apfel fiel zwischen seinen mit pludrigen Kniehosen bekleideten Beinen zu Boden.
»Du bist ein Mädchen! Das gerade ist der Beweis gewesen!«, rief Sebastian. »Nur Mädchen und Frauen machen die Beine auf, wenn sie mit ihrem Kleid etwas im Schoß auffangen wollen. Männer pressen die Beine zusammen. Das ist ein Reflex, den du einfach nicht unterdrücken konntest!«
»Du spinnst ja!«
»O nein, ich spinne ganz und gar nicht!«, erwiderte Sebastian aufgebracht, weil ein Mädchen ihn an der Nase herumgeführt und sich als Junge ausgegeben hatte. »Ich habe mich auch wieder an jenen Moment in der Mordnacht im Moor erinnert, als du pinkeln musstest. Ein Mann wäre einfach neben dem Pferd stehen geblieben und hätte sich erleichtert. Du aber bist hinter einem niedrigen Gebüsch verschwunden, damit ich nicht mitbekomme, dass du dich dabei hinhocken musst! Dumm nur, dass dein Pferd an das frische Grün wollte und auf das Gebüsch zugetrottet ist. Und da habe ich gesehen, wie du da gehockt hast. Du spielst den rauen Burschen, vermutlich um deine weichen Gesichtszüge und deine schmale Figur vergessen zu machen. Die Rolle spielst du auch gar nicht so schlecht. Aber ich weiß, dass du mit Sicherheit nicht Lukas heißt und auch kein junger Mann bist, sondern ein Mädchen in Männerkleidern!«
Mit der Reaktion, die nun folgte, hätte Sebastian nicht in
seinen kühnsten Träumen gerechnet. Er sah, wie das Gesicht des Mädchens auf dem Schemel leichenblass wurde, als wäre ihm schlagartig auch noch das letzte Blut entwichen. Ein, zwei Sekunden saß es wie zu Stein erstarrt, die Augen weit aufgerissen und von Angst erfüllt. Dann sprang das Mädchen auf, riss dabei sein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf ihn.
Bevor Sebastian wusste, wie ihm geschah, hatte er die rasiermesserscharfe Klinge am Hals. »Bist du verrückt geworden?«, keuchte er erschrocken, wagte sich jedoch nicht zu bewegen. »Was soll das? … Nimm das verdammte Messer weg!«
»Du wirst mich nicht verraten!«, zischte das Mädchen, und ihr Atem ging schnell und flach, als
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