Das Kloster der Ketzer
Bibel lieber in deiner Obhut lassen. Doch er hat mehrfach versucht, mich zu überreden, das Buch lieber ihm anzuvertrauen.«
»Na ja, für ihn bin ich eben nur ein einfacher Tagelöhner«, warf Lauretia mit einem spöttischen Lächeln ein, hinter dem sie ihre Verletzlichkeit verbarg.
Sebastian schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es
ihm darum ging. Merkwürdig ist auch, dass er mich gar nicht nach dem Geld gefragt hat, obwohl er doch von dir und bestimmt auch von Stumpe weiß, dass ich einen hübschen Batzen bei mir trage.«
»Das muss nun aber wirklich nichts bedeuten. Vielleicht hat Stumpe es vorgezogen, dem Kapuzenmann kein Wort davon zu erzählen, dass du ihn und die... Besitzerin des Frauenhauses großzügig entlohnt hast«, gab sie zu bedenken. »Denn bestimmt hat er sich einen zusätzlichen Lohn dafür erhofft, dass er dich im Hof des Fassbinders aus der Gewalt des Schergen befreit und dich dann bei dieser Frau versteckt hat. Tja, und was mich betrifft...« Sie machte eine kurze Pause und ein Ausdruck der Verlegenheit zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Also ich habe ihm nun wirklich nicht auf den Heller genau verraten, was da in der Samtbörse steckte. Ich glaube, ich habe nur von einem guten Dutzend Silbermünzen gesprochen. Die vielen Goldstücke habe ich überhaupt nicht erwähnt – und das aus gutem Grund, wie du dir vermutlich denken kannst.«
»Und ob ich das kann!«, versicherte Sebastian trocken, doch in seinen Augen blitzte ein Lachen. »Denn in dem Fall, dass ich nicht durchgekommen wäre, hättest du den Großteil meiner Barschaft heimlich einstreichen können, richtig?«
Sie wich seinem Blick aus. »Na ja, ich streite es ja auch gar nicht ab. Du warst für mich ein völlig Fremder, zudem dem Tod viel näher als dem Leben. Und Tote haben für Goldstücke nun mal keine Verwendung«, rechtfertigte sie sich, obwohl sie wusste, dass ihm nichts ferner lag, als ihr Vorwürfe zu machen. »Jedenfalls weiß der Kapuzenmann nichts vom Inhalt deiner Samtbörse und deshalb hat er sich darüber wohl auch keine Gedanken gemacht. Du siehst, es gibt für alles eine vernünftige Erklärung.«
»Tja, so betrachtet, sieht das natürlich schon anders aus«, gab
Sebastian zu, doch ein Gefühl des Argwohns gegenüber dem Kapuzenmann blieb dennoch in ihm zurück. »Sag mal, glaubst du, dass du es irgendwie einrichten kannst, mir die Bibel heimlich zukommen zu lassen?«
»Ins Kloster?«, fragte sie verdutzt.
Er nickte. »Du magst darüber lachen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es besser ist, wenn sie nicht hier in der Kammer bleibt, sondern wenn ich sie in meiner Nähe weiß. Bestimmt werde ich im Kloster ein gutes Versteck dafür finden. Es reicht schon, dass du auf die Goldstücke aufpassen musst. Was meinst du, traust du dir so etwas zu?«
Lauretia lachte ihn verschmitzt an. »Und ob ich mir das zutraue! Wenn dir so viel daran liegt, wird mir schon etwas einfallen. Frauen haben ja keinen Zutritt zu einem Männerkloster, aber Lukas, der einfallsreiche Fuhrknecht von Meister Dornfeld, wird das schon irgendwie deichseln und durch die Klosterpforte kommen, verlass dich auf mich!«
Eine Faust hämmerte gegen die Tür der Kammer, und eine mürrische Stimme rief gedämpft: »Das Fuhrwerk steht bereit! Es geht los! Beeilung jetzt!«
»Ich komme sofort!«, antwortete Sebastian und wandte sich nun schweren Herzens Lauretia zu. »Ich wünschte, ich müsste diesen schweren Weg ins Kloster Unserer Lieben Frau vom Inn nicht antreten... nicht nur wegen der Lügen und so...« Er zögerte kurz, dann sprach er leise aus, was ihm wirklich am Herzen lag. »Du wirst mir sehr fehlen, Lauretia!«
»Du mir auch, Sebastian«, murmelte sie mit belegter Stimme. »Aber du wirst ja nicht für immer hinter Klostermauern verschwinden. Wir sehen uns, du hast mein Wort drauf!«
Sebastian stand einen Moment unschlüssig vor ihr, dann gab er sich einen Ruck und überraschte sie mit einer hastigen, verlegenen Umarmung.
»Pass auf dich auf, Lauretia!«, flüsterte er, gab sie gleich wieder frei, nahm schnell seinen Filzhut vom Haken und trat aus der Kammer. Feiner Nieselregen schlug ihm ins Gesicht. Ihm war plötzlich zum Heulen zumute.
2
Sebastian rann vor Angst der Schweiß über das Gesicht. Aber nicht, weil er bangte, jemand könnte das Fuhrwerk auf der Straße anhalten und ihn aus dem Versteck zerren, sondern weil er fürchtete, jeden Augenblick könnte die Ladung Balken und Bretter über ihm einstürzen und ihn
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