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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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verstehen«, flüsterte Notker kurz vor der Treppe des Klosterportals zutraulich, obwohl sie sich doch erst wenige Minuten kannten.
    »Danke, Bruder Notker, ich kann jetzt jedes Gebet gebrauchen«, gab Sebastian leise zurück.
    Als der Novize die Tür aufzog, huschte eine rotbraune Katze mit weißen Flecken durch den Spalt und an ihnen vorbei in den Hof hinaus.
    Notker zwinkerte ihm zu. »Das ist Cato! Der Kater sorgt dafür, dass die Mäuse nicht zur Plage werden. Und jetzt darf kein Wort mehr fallen, Laurentius! Hier im Haus gilt strengstes Schweigegebot!«, raunte er ihm zu, um dann hinter vorgehaltener Hand noch hinzuzufügen: »Na ja, eigentlich gilt das Schweigegebot nicht nur hier. Aber welche Vorschriften wann und wo gelten und mit welchen man es nicht so genau nimmt, das wirst du schon noch lernen. Komm jetzt!«
    Notker führte ihn über einen breiten, steinernen Treppenaufgang ins erste Obergeschoss und dort durch die halbdunklen und kalten Gänge, deren dicke Mauern wohl erst im Sommer ein wenig Wärme ins Innere durchlassen würden. Nur an den Enden der Gänge blakte ein Kienspan in einer Eisenhalterung, die neben dem schmalen Schlitz für einen sparsamen Kienspan auch eine breite Öffnung für Fackelstäbe besaß.
    Ein Mönch kam ihnen entgegen. Er musste blind sein, tastete er sich doch mit einem Stock an der Wand entlang. In der tiefen Stille klangen das Tappen und das Kratzen des Stockes unnatürlich laut.

    Notker wechselte mit ihm auf die andere Gangseite, um dem blinden Mitbruder den Weg freizumachen. Die Blindheit hatte aber dessen Gehör wohl dermaßen geschärft, dass er auch die leisesten Geräusche vernahm. Denn als er sich auf ihrer Höhe befand, blieb er stehen und wandte sich ihnen zu.
    Sebastian blickte in ein wild zerfurchtes Gesicht mit milchig trüben Augen. Und obwohl er wusste, dass der blinde Mönch ihn gar nicht sehen konnte, war ihm, als dringe der Blick tief in ihn. Dabei bewegte er irgendetwas in seinem Mund hin und her.
    »Wer ist der Fremde, Notker?«, verlangte der alte, erblindete Mönch zu wissen, der offenbar das Recht besaß, das Schweigegebot zu brechen. Seine Stimme hatte einen rauen, kratzigen Klang. Und weil er etwas im Mund hatte, das jetzt wie eine dicke runde Nuss seine linke Wange ausbeulte, haftete seinen Worten der leicht undeutliche Tonfall eines Mannes an, der mit vollem Mund sprach und wenig auf seine Artikulation gab.
    Notker trat schnell zu ihm und flüsterte ihm die Antwort ins Ohr. Der Mönch nickte, streckte seine zitternde Hand in Sebastians Richtung aus, machte flüchtig das Kreuzzeichen und setzte dann seinen Weg, sich an der Wand entlangtastend, fort.
    Schnell kehrte Notker zu Sebastian zurück und raunte nun ihm ins Ohr: »Das war Bruder Lombardus! Er ist schon seit Jahrzehnten blind, erkennt aber jeden an seinem Gang, auch wenn man noch so leise ist und sich an ihm vorbeischleichen will! Doch sei gewarnt, wenn du mit ihm redest.«
    »Wieso?«, flüsterte Sebastian.
    »Er ist ein bisschen seltsam im Kopf. Manchmal tanzt er unverhofft wie ein von Dämonen heimgesuchter Derwisch herum, schimpft wie ein Rohrspatz und führt wüste Selbstgespräche,
die überhaupt keinen Sinn ergeben. Wenn ihn so ein Anfall packt, redet er wirres Zeug über Waldkobolde, Elfen und Feuer speiende Riesenkröten. Auch hat er die seltsame Angewohnheit, sich Kieselsteine in den Mund zu stecken und daran zu lutschen, als wären es höchst köstliche Gaumenfreuden. Und man darf ihn nicht in die Nähe von Feuer lassen. In der Schmiede hat er schon mal mit der Glut herumgespielt.«
    »Hat er den großen Brand verursacht?«
    Notker zuckte die Achseln. »Wie das Feuer ausgebrochen ist, weiß keiner. Aber es würde wohl niemanden wundern, wenn er da in einem Moment geistiger Verwirrung gezündelt hat. Ich glaube, Bruder Lombardus wird immer wieder von Satans Dämonen...« Er führte den Satz zu Sebastians Bedauern leider nicht zu Ende, sondern unterbrach sich und wies auf eine Tür vor ihnen. »So, und da drüben ist das Lehrzimmer von Bruder Scriptoris! Ich warte hier. Und hoffentlich überzeugst du ihn, dass du zu uns passt!«
    Augenblicke später trat Sebastian mit heftig schlagendem Herzen und trockenem Mund in das Zimmer des Novizenmeisters, von dessen Entscheidung so viel abhing. Er hörte gar nicht, dass Notker die Tür sofort wieder hinter ihm schloss, dachte er doch nur an die Prüfung, die jetzt vor ihm lag und die er unbedingt bestehen musste. Sonst war der Plan des

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