Das Kloster der Ketzer
demonstrierte, auf den das zu bedruckende Papier kam und den man unter den Tiegel schob. Bruder Scriptoris beschrieb ihm auch die Bedeutung der Spindel und des langen Holzhebels, der Bengel hieß und mit dem man den Tiegel auf das Papier und dieses auf die aus Blei gegossenen Buchstaben presste.
Anschließend zeigte er ihm auch die dicken, pilzförmigen Druckballen, mit denen man die Druckerschwärze gleichmäßig auf den Satz verteilte, und führte ihn dann zum großen Setzkasten hinüber, wo sich Hunderte unterschiedlicher Schriftzeichen fanden, die Buchstaben in langen Reihen nach dem Alphabet geordnet, gefolgt von häufig vorkommenden Buchstabenverbindungen, Ligaturen genannt, und einer Vielzahl von Abbreviaturen, bei denen es sich um Abkürzungen handelte.
»Und das hier nennt man Winkelhaken, die man sich auf den linken Arm legt und auf denen man erst einmal die Lettern aus dem Setzkasten zu einer Zeile zusammenfügt«, sagte der Novizenmeister, griff zu einer Holzschiene und drückte sie ihm in die Hand. »Man muss die Buchstaben dabei jedoch spiegelbildlich anordnen. Kannst du dir denken, warum?«
Sebastian überlegte kurz und nickte dann. »Weil das, was man auf dem bedruckten Blatt von rechts nach links liest, in umgekehrter Reihenfolge auf den Karren muss, sonst wird der erste Buchstabe einer Zeile zum letzten, wenn man das bedruckte Blatt aus dem Deckel nimmt und umdreht.«
»Wie ich sehe, hast du aufmerksam zugehört und weißt deinen Verstand zu gebrauchen!«, sagte Bruder Scriptoris zufrieden. »Ich denke mal, du wirst dich schnell in die Arbeit einfinden. Und eine wirklich verlässliche Hilfe habe ich auch dringend nötig, denn bei dem Werk, das wir gerade drucken, handelt es sich um ein recht umfangreiches. Es sind die Bekenntnisse unseres heiligen Kirchenvaters Augustinus.« Er deutete dabei auf das dickleibige, noch handschriftlich verfasste Buch, das etwa im letzten Viertel aufgeschlagen neben dem Setzkasten auf einem Stehpult lag. »Am besten fängst du gleich einmal damit an, deine ersten Zeilen zu setzen. Das eigene Tun ist immer noch der beste Lehrmeister.«
Bruder Scriptoris wies ihm einen lateinischen Absatz aus dem aufgeschlagenen Buch zu, während er Notker mit der recht undankbaren Aufgabe betraute, den Satz vom Vortag auseinander zu nehmen und die vielen einzelnen Lettern wieder in den Setzkasten zurückzulegen.
Sebastian gab sich allergrößte Mühe, diese erste Prüfung seiner handwerklichen Geschicklichkeit möglichst fehlerfrei zu bestehen. Denn ihm war bewusst, dass Bruder Scriptoris zweifellos ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, wenn es um die Entscheidung des Konventes ging, ob man ihn im Kloster als Novize aufnehmen sollte oder nicht. Und wenn er sich hier anstellig zeigte, würde sich der Novizenmeister auch entsprechend für ihn einsetzen. Denn er ahnte, dass Notker dem Mönch nicht die Hilfe war, die seinen Ansprüchen an einen zuverlässigen Gehilfen gerecht wurde.
Die ersten drei Zeilen setzte er fehlerlos und der Novizenmeister war voll des Lobes. »Ganz ausgezeichnet! Jeder Buchstabe sitzt an seinem Platz! Aber dennoch sind die Zeilen so zum Druck nicht geeignet.«
Irritiert sah Sebastian ihn an. Wieso lobte ihn der Mönch zuerst, um dann im nächsten Atemzug seine Arbeit als unbrauchbar zu bezeichnen?
Bruder Scriptoris lachte. »Ich weiß, das klingt verwirrend, aber das eine ist so richtig wie das andere. Das soll dich jedoch nicht betrüben, weil du das natürlich nicht wissen kannst. Ich werde es dir erklären. Hier, sieh dir einmal diese beiden Wörter glorificamus te an, die du gesetzt hast. Fällt dir daran etwas auf?«
Sebastian nahm sich die lateinischen Wörter für »wir rühmen dich« Buchstabe für Buchstabe vor, um den Fehler zu entdecken, der ihm da irgendwo unterlaufen sein musste, fand jedoch keinen. »Nein«, murmelte er verunsichert.
Der Mönch schmunzelte. »Nun ja, das wäre wohl auch zu viel verlangt, fehlt dir doch noch das geschärfte Auge eines Druckers. Die Wörter selbst sind zwar fehlerfrei gesetzt, aber die Abstände zwischen den einzelnen Buchstaben entsprechen nicht dem Anspruch, den das lesende Auge an einen gut gedruckten Text stellt. Das ›g‹ im glorificamus nimmt einen breiteren Raum ein als das gleich darauf folgende schmale ›l‹, auch klebt die Buchstabenkombination ›ifi‹ viel zu nahe zusammen. Um diese Unterschiede auszugleichen und dadurch einen gut lesbaren Text zu erreichen, verwendet man zwischen den
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