Das Kloster der Ketzer
sein, weil das Gift durch die Haut eindringt. Und wenn man gar eine offene Wunde an den Fingern hat, hat einen der Tod schnell ereilt.«
Sebastian bekam eine Gänsehaut. »Kein Wunder, dass Ihr das Gefäß mit einem warnenden Totenkopf gekennzeichnet habt!«
»Ja, aber bei manchen Krankheiten und Vergiftungen kann der tödliche Eisenhut in feinster Dosierung in Verbindung mit anderen Kräutern eine wunderbar heilende Wirkung haben, ähnlich wie beim Kapselextrakt des Schlafmohns und anderen Gewächsen«, erklärte der Kräuterbruder. »Das Gute wie das Böse liegt in Gottes Schöpfung stets nahe beieinander, beim Menschen ebenso wie in der Natur. Die Grenze vom einen zum andern ist schnell überschritten.«
»Ja, beim Blauen Eisenhut ist man von der Ewigkeit immer nur eine feine Messerspitze entfernt!«, sagte in dem Moment eine leicht spöttische Stimme in ihrem Rücken.
Es war Bruder Vitus, der gedrungene, krummnasige Cellerar, der in der offenen Tür stand und sich mit einem spitzen Holzspan einen Essensrest aus einer Zahnlücke puhlte.
Bruder Eusebius stellte rasch das Gefäß mit dem Eisenhut ins Regal zurück und erkundigte sich beim Cellerar, was den Mitbruder zu ihm führte.
»Unser ehrwürdiger Vater Abt verlangt nach Euch«, teilte ihm der Cellerar mit, und ein leicht unmutiger Zug legte sich um seine Mundwinkel, um die herum sich tiefe Kerben eingegraben hatten. »Er besteht übrigens unvernünftigerweise darauf, das Krankenbett zu verlassen, weil er glaubt, das Schlimmste überstanden zu haben. Aber ich halte es für ratsamer,
wenn Ihr ihm davon mit allem Nachdruck abratet, so geschwächt wie er von seiner schweren Krankheit noch ist. Vielleicht solltet Ihr ihm ein wenig mehr Schlafmohnextrakt verabreichen, damit der Schlaf ihn niederzwingt und er sich noch mehr Schonung gönnt. Ein Rückfall in seinem jetzigen Zustand dürfte zweifellos sein Tod sein. Aber wem erzähle ich das.«
Bruder Eusebius nickte. »Ich sehe sofort nach ihm!«, sagte er und fügte mit einem bedauernden Seufzen hinzu: »Wenn doch nur sein gebrechlicher Körper mit seiner bewunderswerten Willenskraft und seinem klaren Geist mithalten könnte!«
Notker nahm seine Dose mit dem Beruhigungstee, und Sebastian beeilte sich mit ihm, dass sie noch rechtzeitig zum Beginn der Non in die Klosterkirche kamen.
Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Ereignisse und ohne ein Zeichen von Lauretia, was Sebastian am meisten bedrückte. Er fand in dieser ersten Woche jedoch allmählich in den anstrengenden klösterlichen Rhythmus aus acht Gebetszeiten, viel Arbeit und wenig Schlaf hinein.
Als Bruder Scriptoris eines Morgens in die Stadt musste, weil mal wieder Verhandlungen mit seinem dortigen Buchhändler und dem Besitzer der Papiermühle anstanden, bot er Sebastian an, ihn nach Passau zu begleiten. Doch Sebastian lehnte dankend ab, unter dem Vorwand, dass er sich in der Zeit seiner Prüfung nicht weltlichen Eindrücken und Ablenkungen aussetzen wollte. Umso bereitwilliger begleitete ihn dann Notker.
In dieser ersten Woche leistete der pummelige Novize die sehnlichst von ihm herbeigewünschte Profess, das ewige Gelübde, legte das geweihte Gewand an und wurde damit als gleichberechtigter Bruder in der Ordensgemeinschaft aufgenommen. Bei der feierlichen Zeremonie im Kapitelsaal, an
der Sebastian nicht teilnehmen durfte, erhielt Notker auch seinen neuen Namen. Von nun an hieß er Bruder Pachomius. Der neue Name sollte mit zum Ausdruck bringen, dass er sein bisheriges Leben abgestreift und der Welt entsagt hatte und dass er von nun an bis zu seinem Tod als Mönch nach den so genannten »drei evangelischen Räten« in Armut, Gehorsam und Keuschheit hinter Klostermauern leben würde.
Notker glühte vor Freude und war stolz auf seinen neuen Namen. »Der Pachomius, von dem ich meinen Ordensnamen habe, war ein frommer und berühmter Mönchsvater, der zu Beginn des vierten Jahrhunderts nach der Geburt unseres Erlösers in Ägypten am Nil ein Kloster gegründet hat und schon zu Lebzeiten im Ruf eines heiligen Mannes stand! Bei seinem Tod hinterließ er neun Männerklöster mit über neuntausend Mönchen!«, teilte er Sebastian hinterher überglücklich und ohne jedes Stottern mit. Dass man ausgerechnet solch einen berühmten Abt zu seinem Namenspatron ausgewählt hatte, weckte in ihm die mit viel Zweifeln durchsetzte Hoffnung, dass die Klosteroberen ihn eines Tages vielleicht doch noch für würdig erachteten, zum Priester ausgebildet zu werden
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