Das Kloster der Ketzer
er mir unbedingt die Reisebibel abnehmen wollte!«
»Aber dann hätte er sich ja unbemerkt von allen Zugang zum Kloster und zu deiner Zelle verschaffen müssen!«, hielt sie ihm entgegen. »Und das gleich zweimal!«
»So unmöglich ist das nicht. Zum einen wissen wir doch gar nicht, um wen es sich bei dem Kapuzenmann handelt und über welche Mittel er verfügt. Ein völlig unbedeutender Mann kann er jedenfalls nicht sein«, gab er zu bedenken und erinnerte sie daran, dass sowohl Stumpe als auch die Besitzerin des Frauenhauses nicht gezögert hatten, ihm zu Diensten zu sein. »Und das Kloster ist ja kein Ort, der völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Werkstätten, die Bauarbeiten und die Verwaltung und Bestellung der klostereigenen Ländereien bringen es mit sich, dass täglich Leute ins Kloster kommen, die weder Mönche noch Konversen sind. Auch sind die Zellen ja nicht abgeschlossen, sondern stehen jedem offen. Und eine Mönchs- oder Konversenkutte lässt sich leicht beschaffen, wenn man unerkannt bleiben und sich in das Konventshaus schleichen will.«
»Stimmt.«
»Also, dem Burschen traue ich vieles zu! Und wer weiß, aus
welchen Beweggründen heraus er mir bisher geholfen hat, dem Domherrn zu entkommen?« Ein neuer Verdacht schoss ihm plötzlich durch den Kopf. »Und was ist, wenn er hier im Kloster einen Komplizen hat?«
Lauretia runzelte die Stirn. »Ein Komplize unter den Mönchen? Ist das nicht sehr weit hergeholt?«, fragte sie skeptisch zurück.
»Überhaupt nicht!«, erwiderte er. »Warum wollte er, dass ich ausgerechnet in dieses Kloster eintrete, wo es in und um Passau doch noch viele andere gibt. Irgendeinen Grund wird er bestimmt gehabt haben, nur hat er ihn uns nicht verraten. Der Bursche wird mir immer unheimlicher, je länger sich diese Sache hinzieht. Und es ist ausgerechnet der Kapuzenmann, der uns im Ungewissen lässt, obwohl er doch alle Fäden in der Hand hält und auf alles eine Antwort geben könnte. Allmählich macht mich das sehr misstrauisch!«
»Dein Verdacht klingt zwar verrückt, aber auszuschließen ist es natürlich auch nicht«, gab sie zu.
»Du musst mir einen Gefallen tun und unbedingt Stumpe finden!«, bat er sie eindringlich. »Sag ihm, er soll ihn nach der Bibel fragen und ob er seine Finger im Spiel gehabt hat. Der Kapuzenmann wird dann schon Mittel und Wege finden, um mit dir oder mit mir Kontakt aufzunehmen und uns wissen zu lassen, was das alles zu bedeuten hat. Ich will endlich Gewissheit haben, wer mein Vater ist und was hier überhaupt gespielt wird! Am besten richtest du ihm über Stumpe aus, dass ich damit gedroht habe, mich nicht länger auf seine Hilfe zu verlassen, nun eigene Pläne zu schmieden und aus dem Kloster zu verschwinden. Dann wird er gezwungen sein, endlich mit der Wahrheit herauszurücken und sein wahres Gesicht zu zeigen. Zumindest ist das meine Hoffnung.«
»Aber das hast du doch nicht wirklich vor, oder?«, stieß sie
bestürzt hervor und griff nach seiner Hand. »Ich meine, einfach bei Nacht und Nebel aus dem Kloster zu verschwinden!«
»Nein, noch gehe ich das Wagnis nicht ein«, beruhigte er sie und streichelte zärtlich ihre Hand. »Und wenn ich es tue, dann mache ich mich nicht allein auf den Weg, sondern mit dir.«
Sie ergriff seine Hand, hielt sie fest und ließ sie bis zum schmerzlichen Augenblick ihres Abschieds am Waldsaum nicht mehr los.
13
A m frühen Nachmittag des folgenden Tages begann Bruder Scriptoris mit dem Druck einer der letzten Seiten von den Bekenntnissen des heiligen Augustinus. Sebastian hatte zusammen mit Pachomius alle Hände voll zu tun, um die Bögen vor dem Druck anzufeuchten, dem Mönch an der Presse rasch genug zur Hand zu gehen und die noch druckfeuchten Blätter sorgfältig zum Trocknen auf die Leinen zu hängen, die sie fünf Reihen tief der Länge nach durch die Werkstatt gespannt hatten. Zum Glück handelte es sich bei den Handreichungen um Arbeiten, die wenig Anforderung an den Geist stellten und die er mittlerweile im Schlaf beherrschte. Und während seine Hände geschickt und geübt taten, was getan werden musste, konnten sich seine Gedanken zwischendurch immer wieder auf Wanderschaft begeben, mit brennender Sehnsucht bei Lauretia weilen und sich in düsteren Grübeleien über sein weiteres Schicksal ergehen. Der Kapuzenmann hatte ihn zwar mit der Versicherung ins Kloster geschickt, dass er sich dort nur für relativ kurze Zeit zu verstecken brauchte. Aber er hatte ihm
nicht verraten, auf
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