Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
vierzig Jahre später sitze ich hier, dreizehn Kilometer vom Küchentisch in Skaftahlicð entfernt und dreitausend Kilometer von Prag. Das dunkle Haar des Geigers ist inzwischen aschgrau geworden.
Drei Wochen vergehen in Schweigen, dann schreibt meine Mutter: »Liebe Schwester, ist der dunkelhaarige Geiger schlecht mit deinem Herzen umgegangen oder umgekehrt? Stößt er sich noch immer den Kopf an der Dachschräge und fällt dir dann nackt in die Arme? Ach, ich muss dir wohl selbst von einem gewissen jungen Mann erzählen. Er kommt aus dem Osten und ist schuld daran, dass ich diesen Brief an dich, den ich vor drei Wochen begann, nicht zu Ende geschrieben habe. Er wird bald Maurer sein und will mich wahrscheinlich einmauern. In seiner Vorstellung habe ich bestimmt schon angefangen, Kartoffeln zu kochen, Kuchen für die Schwiegereltern zu backen und mit den Nachbarinnen über die Fischpreise und andere klatschende Nachbarinnen zu schwätzen. Dabei habe ich ihm gleich gesagt, dass mich ein solches Leben in höchstens zehn Jahren unter die Erde bringen würde. Aber der Junge ist nicht ganz bei Sinnen. Er spinnt, wenn er sich einbildet, er könne mich kriegen, und ich bin genauso verrückt, dass ich noch nicht – mit einem Zwischenstopp in den Westfjorden – auf dem Weg zu dir bin. Aber ich tue mein Bestes und versuche mich durch die tschechische Grammatik zu wühlen, die du mir geschickt hast. Es ist schwieriger, da durchzukommen als durch meine Mähne; denn sie ist ja unglaublich kompliziert. Der Junge aber ist unglaublich süß, und es fällt mir ganz schön schwer, ihn aus meinem Kopf zu kriegen. Es ist, als hätte er sich in mein Blut eingeschlichen – vielleicht ist er so etwas wie eine Blutvergiftung. Manchmal spanne ich ihn auf die Folter – aber mich eigentlich auch, denn wie es aussieht, finde ich ihn spannender als tschechische Grammatik. Ich weiß nicht, ob er das als Lob auffassen würde.«
Fühlt sie sich schon hin- und hergerissen, so schwankt er in sämtliche Richtungen. Er spricht mit seinen Kumpels über das Mädchen, gibt zu, dass er sich mit ihr nicht auskennt, sie sei unbegreiflich.
»Ach«, geben sie zurück, »Frauen tun immer unbegreiflich. Hast du mit ihr geschlafen? Nein?! Dann wird es aber Zeit. Los, Junge, geh ran, zeig ihr, wo’s langgeht und wer die Hosen anhat. Dann wird sie Wachs in deinen Händen.«
Entschlossenheit zeigen, führen, nicht folgen, denkt der junge Mann, darauf kommt es an. Ein Schlappschwanz bin ich gewesen, sie hat nur mit mir gespielt. Ich bin der Hund, nein, der Welpe, der ihr ständig nachläuft. Vor einem solchen Mann hat keine Frau Achtung, keine Chance. Am nächsten Tag fällt er ihr in ihr ausweichendes Gerede und sagt: »Heute Abend ist Ball im Gar?ur. Ich hole dich um neun ab. Bis dann.«
Damit geht er ab und lässt sie staunend zurück.
Am Abend zieht er seinen dunklen Anzug an, dazu einen schmalen Schlips und blank gewienerte Schuhe. Damit macht er was her, sieht blendend aus, standfest wie ein Schiffskapitän, entschlossen wie ein Heerführer, denn jetzt soll sie im Sturm genommen werden, ihr Herz und ihre Lippen, die feinen Linien auf ihrer Stirn, die grauen Augen, die ihn manchmal bis ans Ende der Welt getrieben haben. Mit seinen Ansichten hält er an diesem Abend auch nicht hinter dem Berg.
»Das einzige Anliegen, das die Regierung verfolgt«, sagt er, »besteht darin, die Bedingungen für die einfachen Arbeiter zu verschlechtern, und die Sozialisten machen sich zu ihrem Flittchen. Die Partei spielt nicht eine gute Rolle.«
Sie kommen auf den Ball, er packt sie am Arm und sagt: »Lass uns tanzen!« Er packt sie am Arm und sagt, jetzt tun wir dies, jetzt tun wir das. Er ist davon überzeugt, dass er in jeder Hinsicht der perfekte Mann ist, ganz nach Betriebsanleitung: ein gutaussehender Teufelskerl, aktiv und entschlossen, und obendrein – obwohl er damit nicht angibt – hat das Schleppen der Zementsäcke seinen Bizeps gut entwickelt, er tritt kräftig hervor; davon zeugt ein heimlicher Blick in den Spiegel. Alles scheint zu laufen wie geschmiert. Sie bleibt an seiner Seite, sie tanzt mit ihm, sie ist nicht unbegreiflich. Es lag alles nur an ihm, er war der unsichere Dorftrottel mit flatternden Nerven, wusste nicht, wie man mit einer Frau umgeht, die zur See gefahren ist und schon ein Kind hat, das voll und ganz ihr Vater und seine norwegische Frau aufziehen. Sie hat ein Kind von einem Kerl, an den sie sich nach ihrer eigenen Aussage so gut wie
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