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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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gar nicht erinnern kann. Das alles hatte ihn, jawohl, ganz schön verunsichert, ihn zu einem hypnotisierten Kaninchen gemacht. Das ist jetzt vorbei. Sie ist jetzt nur noch eine junge Frau mit schwieriger Kindheit, die sich von irgendeinem Scheißkerl etwas anhängen ließ, und eigentlich ein empfindliches Pflänzchen. Sein Beschützerinstinkt wird so stark, ja, übermächtig, dass er sich nicht mehr beherrschen kann, sie bei den Schultern packt und irgendwas tun will, sie küssen oder in den Arm nehmen, tröstend und schützend diesen hübschen, aber schwachen Leib umfassen. Doch da fällt sein Blick auf einen kleinen Fleck auf ihrer Brust, direkt über dem Ausschnitt. Nein, es ist kein Fleck, sondern ein Wort. Er sieht es jetzt, als er ganz dicht vor ihr steht. Ja, ein Wort oder einzelne Buchstaben:
    Ei – jei – jei
    Die junge Frau, vielleicht hat sie etwas missverstanden, glaubt vielleicht, er sei ihr so nahe getreten, um die Schrift besser entziffern zu können, und nicht, um sie gegen das Böse in der Welt in Schutz zu nehmen, jedenfalls lächelt sie und zieht den Ausschnitt etwas tiefer:
    Mein Spielkamerad
    Unterhalb davon wird der Ansatz ihrer Brüste sichtbar, ein Körperteil, der schon so manchen braven Jungen um den
    Verstand gebracht hat. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und flüstert ihm mit heißem Atem ins Ohr: »Das ist ein Gedicht, das ich mir von einer Freundin auf die Haut schreiben ließ. Es hat sieben Zeilen. Du solltest wissen, bis wohin es reicht. Magst du Gedichte?«
    Er hat keine Ahnung, was er darauf am besten antworten sollte, wie man darauf reagiert. So etwas hat er noch nie gehört. Sein Selbstbewusstsein löst sich augenblicklich in Luft auf, das Einzige, was ihm noch einfällt, ist, sie wieder aufs Parkett zu schleifen. Als er am Morgen danach aufwacht, liegt er allein unter der Decke. – So allein, wie er noch nie gewesen ist. Und erst als der Himmel am Nachmittag schon wieder dunkel wird, kann er sich dazu aufraffen, seinen Sonntagsanzug wegzuhängen. Den Anzug, der ihn für eine Weile von einem verwirrten Maurerlehrling in einen gutaussehenden, draufgängerischen Teufelskerl verwandelt hat. Jetzt liegen die Klamotten wirr durcheinander geworfen auf einem Stuhl wie die erbeuteten Fahnen eines geschlagenen Heeres. Aus alter Gewohnheit sieht er die Taschen durch. In der rechten Jacketttasche findet er einen Zettel. Darauf stehen in weiblicher Handschrift sieben Zeilen:
    Ei – jei – jei
Mein Spielkamerad
Streichelt mir über den Bauch
Hei – jei – ja
    Er nimmt mich und gibt sich mir
Oh – ja – ja
    Und nimmt mein Lederarmband von mir. [2]

7
    »Hast du meinen Zettel gefunden?«, flüstert sie einige Tage später. »Ja«, flüstert er zurück. »Und was?« »Und was was?«, flüstert er, scheint nicht zu begreifen. Da lächelt sie. Er wird verlegen, läuft rot an und beeilt sich, flüsternd zu fragen: »Warum flüstern wir eigentlich?« Er fragt, weil es mitten an einem Samstag ist, wenn auch nicht hell, sondern ziemlich düster. Schwere Regenwolken haben Reykjavik in etwas Dunkles verwandelt. »Schlafen sie?«, fragt er dann und meint Großvater und Großmutter. Die junge Frau schüttelt lächelnd den Kopf. »Großvater ist arbeiten und Großmutter legt sich tagsüber nie hin. ›Man soll in der Nacht sove‹, sagt sie, und damit ist das Thema erledigt.«
    Nein, Großmutter ist nicht zu Hause, aber drinnen im Wohnzimmer sitzt der Onkel der jungen Frau, der Dichter, frisch aus Norwegen eingetroffen. »Von bescheuertem Heimweh geplagt«, sagt er. Und gestern kamen drei andere Dichter zu Besuch, und es wurde kräftig gebechert. Jetzt sitzt er im Wohnzimmer, schreibt und darf nicht gestört werden. Großmutter hat wütend das Haus verlassen.
    Der junge Mann steht im Flur von Skaftahlicð. Gleich bei seinem Eintreten hat er die Schuhe ausgezogen, eine Art Absichtsbekundung. Er ist nämlich der Auffassung, dass etwas passieren muss; da aber fängt sie an, von diesem dämlichen Dichter zu quatschen.
    Mehrere Tage sind vergangen, seit er einsam neben seinem verknitterten Anzug erwacht und ein Gedicht aus der Tasche gezogen hat. Sogar schon eine ganze Woche, und er hat schlecht geschlafen. Der Meister hat ein verärgertes Gesicht gemacht, und die Gesellen haben ihn aufgezogen. Eine ganze Woche, und er hat weder ein noch aus gewusst in seinem dummen Schädel, immer nur an sie gedacht, an das Gedicht auf dem Zettel, das Gedicht auf ihrem Leib. Er hat es gelesen und gleich die beiden

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