Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Junge, vergiss sie!«, sagen die Freunde und schleppen ihn gegen seinen Willen mit zu einem Besäufnis. »Lass sie, wo der Pfeffer wächst«, sagen sie und begreifen nichts, nicht das Geringste.
Sie vergessen?
Reiß einem Vogel den Flügel aus und beobachte dann seinen Flug.
Nach viel zu viel Wodka-Cola setzt er sich von seinen Kumpanen ab. Es ist Nacht. Irgendwo auf der Grettisgata übergibt er sich, ruft auf der Snorrabraut ihren Namen und auch die halbe Karlagata entlang, bis jemand ein Fenster öffnet und schreit: »Halt endlich das Maul da unten!« Da knickt er zusammen, wird zu Schnee, einem Haufen Schnee auf dem offenen Feld von Klambratun. Der Mond segelt zwischen den Wolken hervor, wirft sein weißes, kaltes Licht über die Stadt. Der junge Mann klingelt in Skaftahlicð, hält seinen Finger auf die Klingel gedrückt, obwohl er vor meiner Großmutter mächtig Respekt hat, klingelt lange, und das Klingeln ist wie ein Notruf in der Nacht. Die Hosen voll, aber trotzig steht er dann vor Großmutter, einer hochgewachsenen, stolzen Frau, die genau vierzig Jahre später in Hveragerdi sterben wird, nachdem ihr die Zeit übel mitgespielt hat. Sie hält den Morgenrock um sich zusammen, nicht eine Spur von Mitleid in den Augen. Ihr ganzer Zorn kommt in der Beschreibung dieser nächtlichen Ruhestörung zum Ausdruck. Aber gibt es überhaupt etwas zu beschreiben?
Der Junge ist einfach fix und fertig.
Nach dem klaren Frost draußen ist die Luft im Hausflur heiß und stickig. Ihm wird flau und ein wenig schwindlig, und so kann er nichts erklären. Er öffnet den Mund, aber nur ein Name kommt heraus. Dann beißt er die Lippen zusammen, blass wie ein Laken, kämpft gegen einen Anfall von Übelkeit, presst die flachen Hände fest gegen die Wand, um das rasende Drehen der Erde zu bremsen. Da tritt Großvater in die Diele, Großvater, der ein paar Jahre später zusammen mit Großmutter und meiner Halbschwester nach Norwegen auswandern wird und der nun auf dem Friedhof von Stavanger begraben liegt, weil er einmal unachtsam auf eine Leiter trat, sich zu weit nach einer Anstreicherrolle streckte, das Gleichgewicht verlor und fiel. Großvater, der dem Jungen sehr zu Großmutters Missfallen einmal die Tür geöffnet hat, kommt dazu. Der Junge drückt sich mittlerweile mit dem ganzen Körper an die Wand, weil er fürchtet, von der Erde in die Leere des Weltalls geschleudert zu werden. Er hört, wie sich die anderen leise miteinander besprechen, tausend Kilometer weit weg.
»Wir müssen ihm etwas sagen!«
»Nej, keinen Ton!«
»Aber siehst du denn nicht, dass der Junge ganz von Sinnen ist? Das ist Liebe, Frau!«
»Pah, Blödsinn. Der ist nur stinkbesoffen. Bald fängt er an zu kotzen. Aber hinterher aufwischen, det skal du!«
»Hör auf! Er könnte sich umbringen, wenn wir nichts sagen.«
»Sich umbringen! So blöd wird doch kein Kerl sein, dass er sich wegen einer Frau das Leben nimmt.«
Großvater schüttelt den Kopf. Er tritt noch einen Schritt näher, packt den halb bewusstlosen jungen Mann an der Schulter und schaut ihm in die schwimmenden Augen. »Bedeutet sie dir etwas?«
Der junge Mann schrickt auf, holt tief Luft und seufzt ein langgezogenes Jaaaa.
Großmutter macht: »Pah!«
Großvater lässt die Schulter nicht los: »Bist du dir sicher? Sehr viel?«
Der Junge gräbt in seinem unendlich schweren Schädel, schiebt volltrunkene Wörter zur Seite und sucht etwas, das den Mann vor ihm überzeugen könnte: »Ich kann überhaupt nichts mehr.«
Großvater: »Was?«
Er, sehr langsam: »Es ist, als wäre mir alles genommen worden.«
Großmutter: »Ach, du bist doch nur besoffen.«
Er wischt mit der Rechten durch die Luft. »Nein! Doch. Ich meine, ja, ich bin betrunken, aber, Mensch, das tut nichts zur Sache. Ich meine … alles … ja, das ist wichtig … ich … ohne sie … ich …«
Der Junge hebt beide Hände, die Handflächen nach vorn gestreckt, und öffnet den Mund, aber er hat keine Worte mehr. Großmutter: »Pah!«
Großvater: »Wenn sie dir so viel bedeutet, wie du behauptest, was machst du dann überhaupt noch hier?«
Er: »Wie? Ich, ich meine, nein, ich …«
Großvater: »Seid ihr im Osten eigentlich alle so begriffsstutzig?«
Der Junge schließt die Augen, und sofort dreht sich die Erde wieder. Die Drehzahl nimmt beängstigend schnell zu,
und kurz bevor der Junge in die Dunkelheit und Einsamkeit des Weltraums geschleudert wird, reißt er die Augen auf, öffnet den Mund und schließt ihn
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