Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Weise? Völlig unbegreiflich, außer sie hat vielleicht einen Sprung in der Schüssel.
Mit solchen Gedanken geht der Tag herum.
Die Stimme echot wieder und wieder durch den Kopf des Jungen, das Mädchen wird zu einer Frau und wieder zu einem Mädchen, es ist blond, nein, dunkel, rothaarig; die Nase wächst und schrumpft, die Augen schimmern weich oder stechen, sie hat einen Kerl nötig und geht auf die fünfzig zu, sie ist völlig durchgedreht. Der Junge hantiert mit Kelle, Zementsack, Wasserwanne und Hammer und findet den Meißel nicht. Er schüttelt den Kopf über seine eigene Dummheit. Natürlich ist sie verrückt, was ist eigentlich mit mir los? Es ist doch lediglich ein Mädel, das mit einem Jungen ins Kino gehen möchte.
Soll ich meinen Anzug anziehen? Hat sie wirklich gesagt »ich lade dich ein«? Wie hieß der Film noch mal? Muss ich mich rasieren, baden, eine frische Unterhose anziehen? Wann hab ich zuletzt die Unterhose gewechselt? Nein, verdammte Dreckspfütze, ich setze heute Abend keinen Fuß vor die Tür! Sie will mich sicher auf den Arm nehmen, einer von den andern Burschen hat sie angestiftet. Ich lass mich nicht zum Affen machen! Ich geh kein Stück. Ich bleibe zu Hause. Ich bleibe heute Abend zu Hause!
Ich werdealles, was du willst
Am Nachmittag liegt schon Dunkelheit über Reykjavik, als der Junge aus dem Osten nach Hause kommt in seinen Keller, fest entschlossen, am Abend nicht mehr auszugehen. Er macht sich etwas zu essen, schaltet das Radio ein, hört Nachrichten aus dem Parlament. Im späteren Verlauf des Abends soll das erste Kapitel eines Science-Fiction-Romans gelesen werden: Die Bestie aus dem Weltraum . »Klingt gut«, brummt der Junge mit der Nase im Rundfunkprogramm des Volkswillens. Er hört Radio, schreibt seinen Eltern einen Brief. Es ist ganz schön, mal zu Hause zu sein, denkt er und steht eine halbe Stunde später vor dem Kassenhäuschen des Austurbæjar-Kinos. Der Film trägt den Titel Der Glöckner von Notre-Dame, in den Hauptrollen spielen Anthony Quinn und Gina Lollobrigida.
Der junge Mann trägt seine besten Alltagssachen und wird von einem leisen Hauch von After Shave umweht. Er hat nur vergessen, die Unterhose zu wechseln. Er hält nach einem Gesicht Ausschau, das zu der Stimme passen könnte, die ihm den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen ist und ihn bald verrückt macht. Eine korpulente Frau um die sechzig stapft mit zusammengezogenen Brauen auf ihn zu und schaut ihn merkwürdig an, einschmeichelnd, findet er. Die Erde unter ihm fängt an zu beben. Die Frau stapft vorbei. Uff, denkt er, da berührt ihn jemand am rechten Ellbogen. Er dreht sich rasch um und begegnet zwei großen grauen Augen. Eine Gleichaltrige. Mit hohen Wangenknochen, einer Reihe weißer Zähne, dunklem Haar. Die Nase ist hübsch, aber nicht wie bei einem Filmstar. Der junge Mann ist so erleichtert, dass ihm zuerst etwas den Hals zuschnürt, im nächsten Augenblick hat er sich schon verliebt. Bis über beide Ohren. Man könnte auch sagen, der Himmel fällt ihm auf den Kopf. Daher fühlt er sich so betäubt, als nehme er seine Umwelt kaum mehr wahr. Er kommt erst wieder zu sich, als sie im Kinosaal Platz genommen haben, es um sie herum dunkel geworden ist und die Lichtstrahlen auf der Leinwand eine bunte Bilderwelt entstehen lassen.
Da regt er die Hände und erfühlt eine Tüte Popcorn auf seinem Schoß. Kann sich allerdings nicht erinnern, sie gekauft zu haben, ebenso wenig ob er ein, zwei oder gar kein
Billett gekauft hat, erinnert sich schlicht an gar nichts. Haben sie die ganze Zeit über geschwiegen oder hat er sich lächerlich gemacht, indem er von Elvis Presley gebrabbelt hat oder von seiner Mutter, die in Amerika groß wurde und ihre Kinder immer mit amerikanischen Lullabies in den Schlaf sang, oder hat er erzählt, dass sein Vater für seinen Einsatz auf See ausgezeichnet wurde oder dass Elvis … Ach, zum Teufel damit, außerdem hat der verdammte Film dänische Untertitel! Er schließt die Augen, öffnet sie wieder, füllt sich die Pfoten mit Popcorn und dreht das Gesicht ein paar Grad in ihre Richtung, um ihr Profil besser sehen zu können. Sofort fühlt er sich wie auf hoher See, die Brecher schlagen hoch, er sitzt in einer zerbrechlichen Nussschale und das Meer hat ihm alles genommen: Ruder, Wasservorräte, Schwimmweste und den letzten Mut. Er drückt sich in den Sitz und hofft, dass der Film weitergeht. Hofft, das Dunkel im Saal halte weiterhin seine schützende Hand über ihn,
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