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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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dieser Stadt. Manche von ihnen sind so kurz, dass sie eher einer Entschuldigung gleichen, andere dagegen lang und von ihrer Wichtigkeit durchdrungen, wie der Laugavegur, der als Herr angeredet werden möchte. Allerdings muss er die Demütigung hinnehmen, irgendwann in eine Suctolandsbraut überzugehen, ohne dass es einen ersichtlichen Grund dafür gibt. Einzelne Straßen sind schmal, so alt und bucklig, dass sie mich an Urgroßmutter erinnern. Laufasvegur und Vesturgata drücken sich fein und gewählt aus und mäkeln an dem Laster herum; dagegen kann ich die Vesturvallagata gut leiden, sie ist winzig und ähnelt mehr einem freundschaftlichen »Hallo« als einem »Pardon«. Eigentlich ist sie nur eine kurze Steigung und ruft: »Wow, ein LKW!«, als wir sie hinabrollen. Ich frage: »Können wir hier noch mal runterfahren?« »So oft du willst«, antwortet Björgvin. Wir tun es achtmal und die Vesturvallagata ruft jedesmal: »Wow, ein LKW!«
    Der Herr Laugavegur ist so zugeknöpft, dass man einen großen Teil von ihm nur in einer Richtung befahren darf. Andauernd stellt er dem Laster Häuser in den Weg. Sie sind wie Vorschlaghämmer, mit denen er uns bedroht, aber Björgvin pfeift darauf, und Papa auch. Ich klemme zwischen ihnen wie ein Komma zwischen Satzteilen. Kurze Zeit später fahren wir die Hverfisgata hinauf, Björgvin zeigt nach links und meint: »Das ist das Schattenviertel«, und sofort sehe ich, wie dunkle Pranken zwischen den Häusern hervorkommen und nach dem Lastwagen greifen.
    Kurz darauf biegen wir auf einen Parkplatz ab, und das Geschäft Liverpool blickt mir großzügig entgegen, mit einem Schaufenster voll der aufregendsten Spielsachen der Welt. Björgvin verschwindet darin, er ist so groß, dass die Eingangstür bei seinem Näherkommen bleich wird. Bald kommt er mit einer Tüte wieder heraus. »Hier«, sagt er, gibt sie mir und fährt los. Ich gucke in die Tüte, eine ganze Schachtel mit Spielzeugsoldaten ist darin und daneben noch ein Beutel mit zehn bis fünfzehn dunkelgrünen. »Die Grünen sind Deutsche«, erklärt Björgvin, »mehr gab es von denen nicht. In der Schachtel sind Khakifarbene, das sind Engländer.« Ehe wir vom Laugavegur abbiegen, zeige ich keine Reaktion, dann sage ich Danke. Ich gucke in die
    Tüte, bis der Laster mit einem abgrundtiefen Ächzen vor dem Block zum Stehen kommt. Der Trabant blickt nicht einmal auf.
    Abenddunkel legt sich über die Stadt. Das rote Sofa trägt Papa und mich, einer der Sessel keucht unter dem Gewicht von Björgvin. Er steht auf, legt eine Schallplatte auf den Plattenspieler. »Elvis«, sagt er und zwinkert mir zu. Er stellt eine Flasche auf den Tisch, gießt für sich und Papa etwas in zwei Gläser, für mich holt er eine Miranda. Wir schweigen, dieser Elvis singt. Der junge Mann aus dem Osten trinkt, fixiert dann wieder den Fußboden. Als Björgvin die Platte umdreht, sagt der junge Mann zum Fußboden: »Ich habe mein Versprechen gehalten.«
    »Welches Versprechen?«, fragt Björgvin.
    »Ich habe das letzte Gedicht auf ihre Haut geschrieben, mit roter Tusche. Sie hat es mich auswendig lernen lassen, ein kurzes Gedicht. Nicht die Kommas vergessen, hat sie noch gesagt, aber sie war schon so verdammt dürr, dass ihre Knochen das eine oder andere Wort zerschnitten haben … Dieses Lied hat sie gemocht«, unterbricht er sich plötzlich selbst. Als es zu Ende ist, steht er auf und legt den Tonarm noch einmal auf. »Ich habe ihr versprochen, es zu spielen, wenn alles …, na ja, wenn alles vorbei ist. Einmal für jedes Jahr, das wir zusammen hatten.«
    Ich gehe in mein Zimmer, stelle die Spielzeugsoldaten auf meinem Schreibtisch auf und betrachte sie und nehme sie doch nicht wirklich wahr. Ich bin müde, mein Kopf ist voller Dinge, die ich nicht begreife. Einer der Soldaten verlagert sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Ich bin nicht mehr müde. Ich gucke und atme so wenig wie möglich. Ich gucke lange. Beobachte die Spielzeugsoldaten genauestens, erst jeden einzelnen, dann die ganze Truppe. Nichts passiert. Die Unterhaltung von Papa und Björgvin, der Gesang von diesem Elvis dringen durch die halb geöffnete Tür. Ich stehe auf, schließe die Tür, gehe zum Schreibtisch zurück und setze mich. Der erste Spielzeugsoldat tritt vor und erstattet Meldung.

Uralte Hände
    Die dunkelgraue Hand des Spätnachmittags streift die Fensterscheibe und streut Schritte über den Fußboden. »Psst«, sage ich, »habt ihr das gehört?« Die Soldaten nehmen Helme

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