Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
doch, und ich schlafe ein. Als ich erwache, sitze ich auf dem Vordersitz eines Autos, das schnell eine schmale Straße entlangfährt, die Landschaft ist schwarz, leer und wüst wie ein Fluch.
Wahrscheinlich träume ich.
Ich bin mit ihren Händen in meinem Haar eingeschlafen und ich träume dieses Auto, diese leere Weite und das Meer, das in der Ferne blinkt. Dann aber wachsen Häuser aus dem schwarzen Untergrund, und das graue Meer flutet über den Horizont herein und ist viel zu groß, um in einem Traum Platz zu haben.
Ich träume also nicht.
Ich sitze auf dem Vordersitz des Trabbis, und er nähert sich den Gebäuden, fährt zwischen ihnen hindurch und hält vor dem Haupthaus. »Hallo, Schwester!«, sagt mein Vater zu der Frau, die aus dem Haus tritt und die auf mich zukommt und etwas sagt, was ich nicht hören will. Ich gehe in das Haus, mein Vater fährt davon, es wird Abend, ich bekomme heiße Schokolade und Kuchen, mir wird übers Haar gestrichen, ich gehe schlafen, lege mich zu Bett, so unendlich weit von meiner Mutter entfernt, unendlich weit weg von dem Haus mit den tausend Augen, ihrem Zimmer, das sich langsam mit flügellosen weißen Wesen füllt. Ihre Augen sind tiefdunkel, und Mutter fällt es schwer, zu atmen.
Nicht zwanzig, nicht zehn, höchstens sieben
Als ich in meinen Block zurückkehre von jenem Ort, an dem die Lava schneller wächst, als es die Bäume tun, an dem ein ewiger Wind mit dem Salz des Meeres in seinen Adern weht und massige, trotzige Gebäude sich gegen die See zusammendrängen, als ich in den Wohnblock zurückkehre, nachdem ich in einem großen Haus mit mehr Zimmern als Finger an meinen beiden Händen gelebt hatte, wo in einem dieser Zimmer eine uralte Frau saß, die mich nie zweimal mit dem gleichen Namen anredete und mich jeden Morgen streng ermahnte, die Schafe von der Hauswiese zu verjagen – sie war so alt, dass ich mich nicht traute, ihr nicht zu gehorchen, also stand ich draußen vor ihrem Fenster, brüllte, wie sie es von mir wollte, fuchtelte mit den Armen, wie sie mich hieß, obwohl es weder eine Hauswiese noch Schafe gab, sondern bloß Asphalt, Autos und wild zerklüftete Lava zwischen den Gebäuden -, als ich also endlich in den Block zurückkehre, ist alles genau so, wie es sein soll, und doch auch wieder nicht. Papa und ich sitzen auf dem roten Sofa.
Von morgens bis abends sitzen Papa und ich auf dem Sofa, das Mutter vor langer Zeit angeschafft hat. Sie hat gesagt: »Das ist so solide, dass es mindestens dreißig Jahre hält, und das Rot erinnert uns an ein warmes Feuer.« Aber es wurden keine dreißig Jahre. Auch keine zwanzig. Keine zehn. Höchstens sieben. Papa und ich sitzen von morgens bis abends auf diesem Sofa, das schon bald nicht mehr auf uns achtet, uns aus lauter Pflicht und Gewohnheit trägt, und sein Feuer ist eiskalt. Papa und ich lauschen auf das Geräusch von Schritten, die es nicht mehr gibt, starren die Schuhe an, die auf ihre Füße warten, Pullover, die auf ihren rechten Arm warten, auf ihren linken auch, und ich frage: »Wann kommt sie wieder?« Nicht nur einmal, nicht zweimal, nicht zehnmal, sondern mindestens zehnmal zehnmal, und jedes Mal, wenn ich frage, zuckt Papa zusammen wie unter einem Nadelstich. Eines Tages stehen wir auf.
Eines Tages erheben Papa und ich uns aus dem teilnahmslosen Sofa. Papa trägt einen Anzug, seine Hand krampft sich um eine unsichtbare Maurerkelle. Auch ich bin fein gemacht. Wir gehen.
Wir verlassen die Wohnung, gehen die Treppe hinab, durch die Haustür, der Volkswille ragt wie eine nicht gezündete Feuerwerksrakete aus dem Briefkasten. Draußen ist es kalt. Es ist sehr kalt draußen, keine Wolke widersteht dieser eisesblauen Luft, und ein gewaltiger Himmel dehnt sich über dieser Stadt namens Reykjavik. Wir steigen in den Trabbi, Papa dreht den Zündschlüssel, und der Motor gibt nicht einen Ton von sich. Papa dreht wieder und wieder den Schlüssel, dann lässt er ihn los, sitzt reglos mit geschlossenen Augen da, reißt sie plötzlich auf und schlägt mit beiden Händen auf das Lenkrad ein, wobei er ruft: »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
Papa öffnet die Motorhaube, der beinharte Himmel über ihm. Wir gehen zurück ins Haus.
Wir gehen zurück ins Haus, acht Stufen, dann Erdgeschoss links, und die gedankenabwesende Wohnung nimmt uns auf. Der junge Mann aus dem Ostland setzt sich auf den Stuhl am Telefon, ruft jemanden an, und ein oder zwei Ewigkeiten später ertönt von draußen ein gewaltiges Rumpeln, als
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