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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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der Kalender auch. Nur ein großer, schwarzer Fleck ist noch da, in dem das Feuer dankbar erloschen ist. Ich habe einen Sieg errungen, einen wichtigen Sieg, und obendrein behalten die vereinten Samstage und Mittwoche nicht Recht: Das Einzige, was die Hände meines Vaters tun, ist auf die Mahnungen zu hören, die besagen: »Du hättest die Streichhölzer besser verstecken sollen!«

Zwischen ihnen ewiger Juli
    Ich erwache mit zwei Händen auf meinem Gesicht. Die rechte ist Juni, die linke August, zwischen ihnen ewiger Juli und mein Gesicht. Sie murmelt: »Ich setze dich zum Erben all meiner Worte ein, meiner Atemzüge, der Berührung meiner Hände.«
    Dann verschwindet sie.

Wohnung der Engel
    Der weiße Trabant mit dem roten Dach verlässt den Parkplatz, mein Vater hält das Lenkrad in der Hand, ich nichts. Der Trabbi fährt die Miklabraut hinab, die Baumreihen zur Rechten. Er rollt weiter und weiter in die Richtung, wo sich Himmel und Erde treffen. Mein Vater sitzt am Lenkrad, doch wir erreichen den Himmel nicht, denn er weicht zurück, schwingt sich in die Höhe und lässt Bäume zurück, deren Wurzeln sich unten in der Erde verwirren. Nadelbäume ragen auf wie ein grüner Schrei.
    Der Trabant hält vor einem riesengroßen Gebäude. Es hat tausend Augen, die Papa und mich anstarren, als wir aus dem Trabant steigen. Wir betreten das Gebäude und begegnen flügellosen Engeln, die uns gemächlich ausweichen. Lange gehen wir, steigen Treppen hinauf, und jedes Mal, wenn wir um eine Ecke biegen, öffnet sich ein neuer Gang voller Engel und anderer Leute, die umherwanken wie betäubte Stubenfliegen. Von diesen Gängen zweigen Unmengen von Zimmern ab, und in einem von ihnen liegt eine Frau in einem großen Eisenbett, von der mein Vater behauptet, sie sei meine Mutter. Sie streckt eine knochige Hand nach mir aus, doch mein Kopf weicht zurück. Nicht, ermahne ich meinen Kopf. Nicht weglaufen, sage ich still zu meinen Beinen, die sich schon auf die Tür zubewegen. Komm wieder her, sagt die Hand meines Vaters auf meiner Schulter.
    Mein Vater und ich haben auf zwei Stühlen Platz genommen. Ich halte den Blick auf die Tür und den Gang geheftet. Er ist voll flügelloser Engel mit schwarzen Augen. Als wir gehen, stehen sie an den Wänden aufgereiht, ihre schwarzen Augen starren mich an. Ein süßlicher, penetranter Geruch verfolgt uns nach draußen.

Dieses Blau, das nur der Himmel kennt
    Papa kommt mit einer Frau nach Hause. Sie ist sehr abgemagert. Papa stützt sie, damit das Tageslicht sie nicht wegweht. Die Stühle wirken größer, als sie sich auf einen setzt. Sie trägt ein Kleid meiner Mutter, jenes helle Kleid, das selbst diedunkelsten Wintertage in Hochsommer verwandelt. Ich bin froh, als sie um andere Sachen bittet. »Den weiten Pullover«, sagt sie zu Papa. Die Frau zieht sich um. Ihre Schulterblätter sind wie Axtblätter, die mir leicht den Kopf abschlagen könnten. Sie setzt sich aufs Sofa, und ich bekomme die Anweisung, mich neben sie zu setzen. Zweimal berühre ich sie, und da pieksen mich ihre Knochen. Sie fragt mich etwas, doch als ich den Mund öffne, um ihr zu antworten, werden meine Worte zu einer Ladung Spucke, die ihr ins Gesicht klatscht. Ich springe auf und kann gerade noch den Händen meines Vaters entwischen, die wütend nach mir greifen. Ich knalle die Tür zu, schließe ab und halte mir die Ohren zu, um nicht das Kichern sämtlicher Kalender im ganzen Block zu hören.
    Als ich die Hände von den Ohren nehme, kratzt jemand schwach an meiner Tür. Ich lausche und höre etwas wie Fliegensummen, das sich aber in die Stimme meiner Mutter verwandelt. Die Wörter scheinen keine Bedeutung zu haben, doch in ihnen liegt das Blau, das nur der Himmel kennt. Ich denke: Ihre Lippen sind hinter dieser Tür. Sie ist da. Sie ist den flügellosen Engeln entkommen! Ich versuche, den Türgriff zu packen, um die Tür zu öffnen, doch meine Hände zittern zu stark. Papa sprengt das Türschloss mit einem Schraubenzieher und seiner Verzweiflung.
    Manchmal liegt Nebel in den Augen meiner Mutter. Die rechte Hand ist nicht länger Juni und die linke nicht mehr August, und der Juli ist vergangen. Auf ihren Händen wird es Herbst, es herbstet früh in ihrem Leib. Nachdem ich mich an ihre pieksenden Knochen gewöhnt habe, spüre ich wieder die Wärme, die die Welt lebenswert macht. »Geh nicht!«, sage ich. Sie streichelt mir über den Schopf, und ich wage nicht, die Augen zu schließen.

Was verschwindet
    Dann schließen sie sich

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