Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
wäre der tiefgefrorene Zorn des Himmels über uns hereingebrochen und würde bald riesige Brocken regnen. Papa sagt: »Komm!«
Jetzt solltesie sich allmählich beeilen zu rufen
Ein Ungetüm von einem Laster rollt auf den Parkplatz. Wir klettern ins Führerhaus. Onkel Björgvin nickt zur Begrüßung.
»Konntest du nicht den verdammten Schutt abladen?«, fragt Papa. »Nein«, antwortet Björgvin und setzt den LKW mit den großen Felsbrocken auf der Ladefläche zurück. Ich gucke auf seine Hände auf dem Lenkrad. Sie sind größer als mein Kopf.
Der Laster hält mit einem tiefen Stöhnen direkt vor der Kirche. Wir gehen hinein, alle sehen mich an, ich bin offenbar besonders wichtig, mag das aber nicht. Papa und ich setzen uns ganz vorne hin. Ich sehe mich um, viele Frauen lächeln mir zu. Da ist Björgvin, überragt alle, seine Miene so schwer wie die Steine auf dem Laster. Jetzt setzen sich Großvater und Urgroßmutter zu uns. Großvater ist extra den weiten Weg aus Norwegen gekommen, er legt mir seine linke Hand auf den Kopf. Es ist still in der Kirche, nur vereinzelte tiefe Atemzüge stören die Ruhe, ein einzelnes Husten dröhnt wie ein gedämpfter Pistolenschuss. Dann beginnt jemand Musik zu spielen, ich denke an das Meer, das sich in unbegreifliche Fernen erstreckt, plötzlich steht der Pastor vor uns, wie eine Motte aus der Nacht. Ich blicke nach unten. Ich habe zehn Finger, fünf an jeder Hand. Es sind so viele, dass sie sich nie langweilen. Jetzt reden sie miteinander, von ihrem Gequatsche höre ich sonst nichts. »Konntest du wirklich nicht das Zeug abkippen?«, fragt Papa nachher wieder im Laster. »Nein«, sagt Björgvin entschuldigend, seine Pranken sind größer als mein Kopf, und er fügt hinzu: »Eigentlich wollte ich es auch nicht.« Papa seufzt. Der LKW fährt dicht hinter einem schwarzen Fahrzeug her. Sie haben den Sarg in dieses Fahrzeug geschoben, der vorhin in der Kirche stand, meine Mutter liegt in diesem Sarg. Einmal lief sie mit mir durch Wiesen oberhalb einer Stadt, die Reykjavik heißt. Sie hätte von innen gegen den Sargdeckel hämmern sollen, dann hätten wir den Deckel abgenommen und sie herausgelassen. Wir wären nach Hause gefahren, hätten uns Pfannkuchen gemacht und dazu gefüllte Kekse von Fron gefuttert. Der Laster folgt dem schwarzen Wagen, der ganz langsam fährt. »Du hättest das Zeug abladen sollen«, murmelt Vater. »Tut mir Leid«, sagt Björgvin.
Ich bin ungefähr sieben Jahre alt und sehe daher nicht viel zwischen all den Erwachsenen. Aus sämtlichen Richtungen strecken sich mir Hände entgegen, streichen mir übers Haar und flattern wieder davon wie scheue Vögel. Papa schiebt mich weiter, an allen vorbei nach vorn zu Großvater und Urgroßmutter. Da steht der Pfarrer wartend vor dem Sarg und einem Loch, das tief in die Erde reicht. Er gibt Anweisungen, den Sarg mit meiner Mutter in das Loch abzuseilen. Der Sarg sinkt langsam in die Tiefe, und jetzt sollte sie sich allmählich beeilen zu rufen, sonst ist es bald zu spät. Doch sie ruft nicht. Der Sarg sinkt tiefer, verschwindet. Ich blicke auf und sehe in den Himmel, gucke in die kalte Sonne. Meine Mutter hatte warme Hände, sie waren ein ganzer Sommer. Ich blicke auf den Pastor, dann um mich herum. Ich bin vollkommen ruhig, ich sehe mich lange und gründlich um, dann finde ich endlich, was ich gesucht habe. Ich mache zwei Schritte nach rechts, meine rechte Hand greift nach etwas, das jetzt zwischen meinen Füßen liegt, die gleiche rechte Hand holt dann aus und schleudert dem Pastor einen Stein von der Größe meiner Handfläche mit wundervoller Treffsicherheit und wohltuender Kraft mitten in die Visage, genau zwischen die Augen.
Ein Wort: Leichenschmaus
Es liegt etwas Düsteres in diesem Wort. Die Leute hocken mit ernsten Mienen wie betretene Steine um die vielen Tische, schütten Tasse auf Tasse von Schwärze in sich hinein und stopfen alles in sich hinein, was sie zurückgelassen hat. Ich gehe zwischen den Tischen umher und sehe mir die Leute an. Wenn sie mich sehen, hören sie auf zu essen. Großvater packt Vater bei den Schultern und sagt etwas zu ihm, Großvater nimmt auch Björgvin um die Schultern und sagt ihm ebenfalls etwas. Björgvin nickt und erhebt sich zu seinen vollen zwei Metern Länge. Wir drei, Björgvin, ich und der junge Mann aus dem Osten verlassen dieses düstere, schwere Wort.
Spiel das, wenn alles vorbei ist
Der Lastwagen rollt durch die Straßen von Reykjavik. Es gibt viele Straßen in
Weitere Kostenlose Bücher