Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
bin mit meinen Gedanken woanders, da steht er auf, stakst auf mich zu, packt mich wortlos an der linken Schulter, zieht mich in die Höhe, als wäre ich ein leerer Sack, zieht eine halb mit Sägemehl gefüllte Kiste heran und stopft mich hinein. Dann schiebt er die Kiste wieder unter den Tisch, und die Dunkelheit verschluckt mich. Ich hocke zusammengekauert da, höre auf die gedämpften Arbeitsgeräusche und die vereinzelten Fragen der anderen Jungen, auf seine Antworten, die so schroff und grob wirken wie geballte Fäuste. Auf Dauer fällt es schwer, in der Kiste zu atmen, das Sägemehl setzt sich im Hals fest. Meist lässt er uns wieder aus der Kiste, ehe es klingelt. Manche Jungen sind dann vorne nass, haben sich in die Hosen gepinkelt. »Bäh«, sagt er dann, »und so was will ein Junge sein!« Ich aber muss heute warten, bis die Stunde zu Ende ist, alle Jungen ihr Werkzeug weggeräumt und den Werkraum verlassen haben. Da erst rollt er die Kiste unter dem Tisch hervor in die gleißende Helle des Raums. »Kannst jetzt gehen, du armer Kerl«, sagt der Lehrer, und dieses »Armer Kerl« steht ihm ebenso wenig wie ein geblümtes Kleid.
Eine Stimme wie ein Bach
Die Tage sind fette, schwarze Schnecken. Ich habe keine Lust, mich mit Peter oder den Brüdern zu verabreden. Meist hocke ich in meinem Zimmer, rede mit den Spielsoldaten, und sie helfen mir bei den Schulaufgaben. Im Rechnen mache ich Fortschritte, bekomme jede Menge Sternchen in mein Rechenheft, aber egal, wie ich auch rechne, was für komplizierte Aufgaben ich auch löse, wie ich die Multiplikationstabelle drehe und wende, nie kommt am Ende meine Mutter dabei heraus. Darum gebe ich auf beim Rechnen. Seitdem verachte ich Mathematik, sie hat doch nichts anderes im Sinn als Zahlen. Ich gehe stattdessen zum Bücherbus, der vor der Reinigung Björg hält. Ich leihe so viele Bücher aus, wie ich darf. Ich lese voll Eifer. Manchmal findet sich eine überraschende Spur auf Seite 13 oder 34, und das Herz macht einen solchen Satz, dass es richtig weh tut. Mitten in einem Buch öffnet sich ein verlorenes Tal, eine zuvor unbekannte Insel steigt aus dem Meer. Ich durchwandere das Tal, ich gehe auf der Insel an Land und finde doch bloß einen Schatz oder ausgestorbene Tiere. Ich gehe zur Haltestelle und warte darauf, dass sie aus der Linie 3 steigt mit einer Tüte voller Kokosnüsse und einem Affen auf der Schulter. Aber es passiert nie. Sie räuspert sich weiterhin in ihrem Sarg und singt, ihre Stimme perlt wie ein Bach. Ich glaube, sie trägt nur ihr schwarzes Kleid. Jemand müsste ihr einen Anorak oder eine Wolldecke leihen.
Bitte keine Pfadfinderlieder singen!
Einige Soldaten interessieren sich für Sterne. Sie benutzen die Bücher der Herren Stefan Juliusson und Stefan Jonsson, um vom Schreibtisch auf die Fensterbank zu klettern. Manchmal sitze ich bei ihnen und spähe nach draußen. Zwischen den Sternen ist es sehr dunkel. »Wir wissen nicht, wasin dieser Finsternis lebt, vielleicht Geister«, sage ich, und da wollen sie lieber die Gardinen vorziehen. Es ist Winter, und wenn die Sterne mitten am Tag verblassen, verwandelt sich der Himmel in eine blankpolierte Metallplatte. Die Erde wird durch den Frost hart wie Stein. Ich versuche mit dem Absatz hineinzuhacken und kratze mit einem Löffel, aber sie bleibt fest versiegelt: Niemand kommt hinein und niemand heraus. »Hoffentlich ist es da unten im Boden nicht so kalt«, sage ich zu den Soldaten. »Mama hat ihren Anorak nicht mitgenommen, er hängt immer noch drinnen im Schrank.«
Morgens gehe ich den Hang hinab zur Schule, meine rechte Hand tastet immer wieder nach ihrer linken, die jetzt tief in der Erde vergraben liegt. Bestimmt fühlt sie sich einsam. Es muss unbequem sein, in so einer Kiste zu liegen: Es ist dunkel und so eng, dass man sich nicht einmal aufrichten kann, um zu lesen, ein paar Turnübungen zu machen oder Gitarre zu spielen. Darum hat sie sie zu Hause in der Abstellkammer gelassen. Nein, sie wird sich kaum rühren können, bloß das Gesicht verziehen, Finger und Zehen bewegen und singen. Sie kennt viele Lieder. Ihre Stimme klingt weich wie ein Bach. Da unten liegen noch mehr, jede Menge Menschen, und sie wird ihnen ein paar Lieder beibringen. Vielleicht singt sie gerade jetzt, während ich den Hang hinab zur Schule gehe und meine Hand die leere Luft festhält, tief unten in der Erde ein Lied, und bestimmt fallen viele von den anderen ein. Einige singen laut und fröhlich, andere leise und zögernd,
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