Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
und Mützen ab, damit sie besser hören. Im Wohnzimmer geht jemand über den Boden, obwohl Papa nicht zu Hause ist. Er und die Maurerkelle sind auf der Arbeit. Ich schließe die Tür, die Soldaten bilden einen Kreis um mich, die dünnen Gewehrläufe richten sich zitternd auf die Tür. Die Schritte nähern sich, aber es kommt niemand herein. In manchen Nächten flüstert jemand in mein Zimmer. Die Stimme klingt heiser, manchmal verwandelt sie sich in lange, kalte Arme, die um meine Knöchel greifen. In solchen Momenten beweisen meine Spielzeugsoldaten einen Mut, der in keinem Verhältnis zu ihrer geringen Größe steht.
Mit jedem Tag wird es dunkler.
Schummrige Tage, und jeden Abend quillt die Finsternis zwischen den Sternen hervor, Vaters und meine Augen verdunkeln sich. Die Handtücher, mit denen wir uns abtrocknen, machen uns für ihr Verschwinden verantwortlich, der Wasserhahn in der Küche faucht uns an, Glühbirnen platzen, Dunkelheit füllt die Wohnung, und die Zehen an meinem linken Fuß werden schwarz. Wir kochen Kartoffeln, doch die Bohnen dazu essen wir kalt. Wir hören Radio, vergessen aber, vorher den Stecker einzustöpseln. Papa greift nach mir, doch seine Hände fassen in aushärtenden Beton. Manchmal taucht Björgvin auf, manchmal auch nicht. Manchmal kommt Anna aus der Kellerwohnung, manchmal nicht. Der Trabant tuckert durch Reykjaviks Straßen, ich finde den Laufasvegur wieder, mit Wörtern, die an teure Hüte und edle Schuhe erinnern. Ich bin schüchtern gegenüber dem Laufasvegur, und das ist der Bjargastigur auch, er traut sich kaum, etwas laut zu sagen, außer vielleicht »Himmel noch mal, es regnet!« oder »Donnerwetter, schnuckeliges Auto!«, womit er den Trabbi meint, der ihm mit einem polternden Fluch antwortet. Der Trabbi, der jetzt in die Baldursgata einbiegt und vor Urgroßmutters Haus hält. Ihre Hände sind uralt, und es ist mein Kopf, den sie in diese beiden Hände nimmt. Urgroßmutter ist so alt, dass ich manchmal Angst vor ihr bekomme. Ihre steinalten Hände öffnen ein vergilbtes Album. »Das bin ich und das dein Urgroßvater«, sagt sie und zeigt auf zwei Personen, die nicht annähernd in ihrem Alter sind, aber ich tue so, als würde ich ihr glauben. Über einem ihrer Augen liegt ein grauer Schleier; mit dem sieht sie nichts. Sie bewegt sich sehr langsam, als würde sie in Wasser gehen. Ihr Kopf sieht aus wie eine Kartoffel, die jemand im Schrank vergessen hat.
Zwei Sterne und zwischen ihnen ein Meer der Dunkelheit
Morgens gehen Papa und ich gleichzeitig aus dem Haus, ich mit dem Tornister, er mit Thermoskanne und Brotdose. Ich laufe den Hang hinab, er fährt mit dem Trabbi weg, die Kelle auf dem Beifahrersitz. Esist noch dunkel, wenn wir aufbrechen, halbwegs hell, wenn ich aus der Schule komme, dunkel, wenn Papa und der Trabant zurückkehren. Ich habe einen Schlüssel in der Tasche. Ich bin das einzige Schlüsselkind im ganzen Block. Andere Kinder klingeln, und das, was sie ihre Mutter nennen, öffnet. Abends sitzen Papa und ich auf dem geistesabwesenden Sofa: Zwei Sterne und ein Meer der Dunkelheit zwischen ihnen. Da sitzen wir, und die Balkontür klagt uns an, der Heizkörper unter dem Fenster ebenfalls; die beiden Männer auf dem Bild über dem Sofa machen uns schwere Vorwürfe. Die leeren Kleiderbügel, die Decke im Wohnzimmer, das Brummen des Kühlschranks, ganz besonders das Brummen des Kühlschranks macht uns Tag und Nacht monoton Vorhaltungen und verwünscht uns. Manchmal kommt Björgvin vorbei, manchmal auch nicht. Die Hand meines Vaters greift nach mir und packt die Maurerkelle.
Ein Kunstlehrer in geblümtem Kleid
Ich bin berühmt. Nicht nur in dem Block, der höher ist als alle anderen, sondern auch in der Schule, und das, weil die linke Hand meiner Mutter in Erde ruht, ebenso ihre Lippen, die grauen Augen und das schwarze Kleid. Ich hätte selbst dann keine größere Berühmtheit sein können, wenn mir der Trainer der E-Jugend von Fram ein azurblaues Trikot mit der Nummer 9 überreicht hätte. Dieser cholerische Trainer, der immer bloß brüllt anstatt zu sprechen, der mit dem Trommelbauch und der ewigen Zigarre zwischen den Fingern. Der Lehrer sieht mich an, als wäre ich zerbrechlich. Das kann ich überhaupt nicht ausstehen, und ich bin fast dankbar, als mich der Kunstlehrer wortlos an der linken Schulter packt. Es ist in der allerersten Kunststunde, nachdem sich die Erde über meiner Mutter geschlossen hat. Er verliest unsere Namen, ich vergesse zu antworten,
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