Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
manch einer ist bestimmt schon so alt, dass seine Stimme wie eine gesprungene Platte scheppert. Da ist auch der fette Busfahrer. Bevor er beigesetzt wurde, fuhr er einen der Linienbusse auf der Miklabraut. Ich habe Bedenken wegen des Busfahrers. Er will unbedingt Ö o obyggdaferd singen, was gar nicht gut ist, denn sie konnte das Lied nie ausstehen, und Öxar vid ana auch nicht. Das sollte jemand die da unten wissen lassen, Björgvin zum Beispiel, er hat eine Stimme wie zehn Windstärken, die würde so weit tragen. Aber da ist die Schule, gelb, die Turnhalle weiß gestrichen.
Ein neues Jahr
Meine Straße heißt Safamyri. Sie ist noch nicht alt und kennt daher nur ganz wenige Wörter. »Weihnachten« kann sie sagen, aber nicht »Weihnachtsbaum«, »Weihnachtsschmuck« erst recht nicht. Meine Mutter summt tief unten in der Erde Weihnachtslieder. Der Busfahrer, ein Drucker, ein Lehrer und ein paar alte Leute stimmen ein. Ich aber nicht. Die, die sich auf der Erde aufhalten, können nicht mit denen Weihnachten feiern, die in ihr liegen. Es ist zu viel Erde zwischen ihnen. Der Dezember kommt mit seinen Weihnachtsmännern. Es sind nicht bloß dreizehn, sondern mindestens drei mal dreizehn, und keiner von ihnen hat eine Stimme wie ein munter perlender Bach. Dann schlägt der 23. Dezember Papa und mich in stiller Wut mit einem hübschen Weihnachtsbaum, wir bluten beide, es piekst jedes Mal, wenn wir ihm mit einer Kugel nahe kommen. In der Nacht halten mich die Finger mit ihrem Geheule wach. Am Tag danach darf ich im Fernsehen die Kinderstunde sehen. Papa und ich tragen beide einen Schlips, müssen ihn aber immer wieder lockern – auf Anweisung von Hals und Schultern. Die Kleider im Schrank fragen nach ihr, die Schuhe fragen nach ihr, und das Sonntagsbesteck wiederholt andauernd ihren Namen. Papas und meine Augen sind schwarz, der Vogel im Backofen schlägt höhnisch mit den Flügeln und pfeift etwas, das wir nicht verstehen. Vaters Hand tastet nach mir, aber der Himmel beißt sie, und sie schwillt an. Da kommt Björgvin in seinem Laster, der im Auspuff eine ganze Ladung heiserer Weihnachtslieder für den Trabant mitbringt. Björgvin hat drei Päckchen für mich, eins ist sehr groß, aber nicht groß genug. Björgvin bringt Schlipse und Besteck zum Schweigen, der Vogel im Ofen kriegt was zu hören, die geschwollene Hand auf meiner Schulter. Die Uhr schlägt sechs, das Radio wird so feierlich, dass Björgvin seine Fliege auszieht und sie dem Radio umbindet. In der Dunkelheit draußen schnappt der Himmel nach allem und jedem.
Silvester stehen Papa und ich nebeneinander und blicken auf das Kreuz, es ist ein Zwerg mit ausgebreiteten Armen. Ihr Name steht unmittelbar über dem Boden. Der Frost beißt in unsere Zehen und Finger. Am Abend tritt Herr Billy Smart mit seinem Zirkus im Fernsehen auf, Raketen fauchen etwas in den Himmel und platzen dann mit einem Knall oder gar mit Donnerschlag, und dann wackeln die Fensterscheiben. Vielleicht reicht der Donner bis zu ihr hinab. Sie liegt mit offenen Augen da und lauscht. Wir stehen auf dem Balkon und blicken zum Himmel auf, es ist bald Mitternacht, unsere Augen sind schwarz. Ich schlafe ein. Ich schlafe und erwache früh am nächsten Morgen. Die Erde ist mit angekohlten Holzstäben übersät. Für die, die auf ihr leben, ist ein neues Jahr angebrochen.
Teil III
11
Woraus bestehen die Bande, die zwei Menschen miteinander verbinden und die aus allgemeiner Ratlosigkeit Liebe genannt wurden? Eine nicht unwichtige Frage, denn zuweilen sieht es so aus, als könne nichts zwei Menschen auseinander bringen, weder der unablässige Zermürbungskrieg des Alltags noch die Sprengkraft des Augenblicks. Und ich spreche von Ratlosigkeit, weil ich den Verdacht habe, dass dieses kleine Wort, Liebe, ein Oberbegriff für so vieles ist, dass nicht einmal dieser ganze Tag ausreichte, um alles aufzuzählen – dabei ist es noch früh am Morgen, Herbst draußen, das Gras welk, die Blätter fallen von den Bäumen, und die Raben sind wieder da, ihre schwarzen Schwingen künden den Winter an. Ich blicke in die Vergangenheit zurück und sehe das dunkle, fast schwarze Haar meines Urgroßvaters grau werden. Ich sehe Urgroßmutter, die sich derart vor ihren eigenen Träumen fürchtet, dass sie eines Nachts aufsteht, die schärfsten Messer einsammelt, mit ihnen das Haus verlässt, wobei sie sich vom matten Schein der Straßenlaternen fern hält, und sie schließlich irgendwo im Meer versenkt. Einige Monate
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