Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
Vom Netzwerk:
ist weg.
    Ich glaube, er liegt mittlerweile unter der Erde, wir sollten ihn einmal besuchen, bestimmt schwebt Zigarrenduft über seinem Grab. Seine Frau ist verschwunden, und ich weiß nichts von den Töchtern in der Luke, jenen Wächterinnen himmlischer Wonnen. Auch die Luke selbst existiert nicht mehr, ebenso wenig wie der ganze Kiosk. Söbekks Kiosk gibt es nicht mehr, ein anderer ist an seine Stelle getreten. Das hätten wir – glücklicherweise – niemals geglaubt, es hätte nur unnötigerweise die dunklen Stellen im tiefen Gewässer unserer Kindheit vermehrt. Wir lebten in der Überzeugung, der Kiosk sei ungefähr ebenso alt wie die Erde, Gott hätte da schon eingekauft, während er alles andere erschuf, die Sonne, die Käfer und die Sommerferien. Wir gingen selbstverständlich davon aus, dass Jesus das Brot für das letzte Abendmahl bei Bäcker Bödvar erstanden hatte … Ja, richtig geraten, Bödvar gibt es auch nicht mehr. Bitter, sehr bitter, sich das vorzustellen, aber irgendwer oder irgendwas hat ihm derart eins verpasst, dass er aus dem Leben flog und aus der Zeit mit seiner Schlaflosigkeit, seiner Wehmut, seinen italienischen Liedern. Seine roten Augen glühen nun anderswo, aber ich weiß nicht, wo.
    Ist spurlos verschwunden, der Bödvar.
    Eines Morgens steckten verkohlte Brote im Ofen, seine sorgfältig zusammengelegte Bäckerschürze lag auf dem Tisch, daneben ein Bleistift und ein sorgsam datierter Zettel, darauf nur ein Wort: Ich. Und dann noch der Anfangsbuchstabe eines zweiten: h, b oder t. Bödvar ist seitdem nie wieder gesehen worden.

Opa und ich fahren Taxi
    Es sterben eine Menge Menschen auf dieser Welt, und jedes Mal, wenn einer stirbt, scheint sich vieles zu verändern. Eines Tages ruft mich Stiefmutter, sie steht auf dem Balkon und winkt, ich solle kommen. Ich spiele aber gerade Fußball, und da passt es einem nicht besonders, wenn man reingerufen wird. »Ich bin gleich wieder da«, sage ich optimistisch zu den anderen und laufe ins Haus. Stiefmutter sagt, ich solle mich mal aufs Sofa setzen, sie setzt sich mir gegenüber. Das gefällt mir nicht. Gestern habe ich, während sie beim Einkaufen war, vier Plätzchen stibitzt, die sie im Schrank versteckt hält, ganz hinten. Ich habe lange gebraucht, ehe ich die Dose fand. Die Plätzchen sind für Gäste gedacht, und nicht für mich. Ich habe mich früher schon einmal bedient, denn die Plätzchen sind lecker, sie sind mit weißer Creme gefüllt. Stiefmutter kann es absolut nicht leiden, wenn man ihre Kekse klaut. Einmal hat sie mich erwischt, und da bekam sie diesen Gesichtsausdruck, vor dem sich sogar der fiese Frikki und der Teufel fürchten würden, und ich sowieso. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst, doch da sagt sie nur: »Urgroßmutter ist gestorben.« Draußen johlt Tryggvi, er hat ein Tor geschossen. Ich sehe Stiefmutter an, sie sieht mich an. Dann darf ich wieder raus.
    Ich habe es längst wieder vergessen, als mich Großvater in einem Taxi abholen kommt. Opa, der in Norwegen lebt! In einem Taxi!! Leider sieht es niemand, als wir darin wegfahren. Ich habe in meinem Leben noch nie in einem Taxi gesessen und kenne niemanden, der es je getan hätte. Ich hege so meine Zweifel, ob mir die anderen Jungen glauben werden. Ich bitte Opa, mir auf einem Zettel schriftlich zu bestätigen, dass er extra aus Norwegen gekommen ist und mich mit einem Taxi abgeholt hat. Opa verspricht es, und sobald wir in Urgroßmutters Wohnung angekommen sind, fragt er seinen Bruder, der Dichter ist, nach einem Stift. Sie finden ein Blatt Papier, und Großvater schreibt, sein Bruder und ihre beiden Schwestern unterschreiben als Zeugen. Die eine von den beiden kenne ich gut, sie ist nett und schenkt mir immer was, aber das habe ich vielleicht schon erzählt. Der anderen gegenüber bin ich schüchtern. Sie kann von einem auf den anderen Moment wütend oder sehr ausgelassen sein. Sie hat ziemlich schönes Haar, das ihr wie Silber über die Schultern fließt. Sie hat ebenfalls Bücher geschrieben wie ihr Bruder, der Dichter, und deswegen vertragen sie sich so schlecht, sagt Vater. Der Dichter wohnt in Norwegen wie Großvater, ich habe ihn noch nie gesehen. Nachdem er mit seinem Namenszug unterschrieben hat, tätschelt er mir den Kopf und geht dann zum Bücherregal hinüber, stellt sich mit den Händen in den Taschen davor und betrachtet die Buchrücken. Die Tante mit dem silbernen Haar redet und redet; sie kann nicht stillstehen und wedelt mit den Händen, als

Weitere Kostenlose Bücher