Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
Vom Netzwerk:
wirkt sehr schweigsam und weit entfernt und hat ihn schon vergessen. Urgroßvater greift nach den Netzen, das Boot fängt heftig an zu schaukeln. Besser, ich hätte schwimmen gelernt, denkt er und packt einen der Steine, um ihn über Bord zu werfen. Er steht auf, doch da schaukelt das Boot noch mehr, also setzt er sich wieder, erholt sich einen Moment, packt den Stein dann fester und erhebt sich so langsam, dass seine Oberschenkelmuskeln vor Anstrengung zu zittern beginnen. Er steht, richtet sich auf und blickt starr vor sich hin, wartet darauf, dass das Boot aufhört zu schwanken. Jetzt werfe ich den Stein aus, denkt er, und seine Arme zucken, als durchzuckte sie der Gedanke. Doch anstatt den Stein im Meer zu versenken, sinkt er selbst zurück ins Boot, beugt sich über den Stein und rollt sich so über ihm zusammen, dass er mehr einer Muschel als einem Menschen gleicht. Dazu schließt er die Augen, während die schwarze Tiefe an ihm saugt. Es wird Spätnachmittag, und hinter ihm lauert das Dunkel der Nacht. Die Zeit vergeht, Minuten, vielleicht eine Stunde. Endlich richtet sich Urgroßvater mit geschlossenen Augen wieder auf und setzt sich auf die Ruderbank. Kalter Schweiß klebt ihm am Körper. Er greift nach den Rudern und wendet das Boot, verliert die Ruder aber fast wieder, als er die Augen öffnet und sein Blick auf den unbegrenzten Ozean trifft. Er blickt direkt in den ziehenden, saugenden Schlund des Horizonts. Er bekommt die Ruder zu fassen und rudert so schnell er kann zum Land, hebt den Blick dabei nicht mehr über den Bootsrand.
    Am Tag danach bleibt er mit furchtbaren Kopfschmerzen im Bett. Urgroßmutter bringt ihm das Essen und bietet ihm an, das Fischen für ihn zu übernehmen. »Untersteh dich!«, sagt er und fürchtet so sehr, sie könne das Boot nehmen, dass er mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Ufer hinabgeht und die Ruder aus dem Boot nimmt. Während die Angst und die Kopfschmerzen versuchen, ihn umzubringen, liegen die Ruder im Schlafzimmer auf dem Fußboden.
    Zwei Tage vergehen.
    Urgroßmutter arbeitet mit dem Rechen, die besten Flächen sind gemäht. Sie geht zu den feuchtesten Stellen im Moor, verbietet Großvater, ihr mit der Kinderharke zu folgen, und er verflucht seine sechs Jahre. Am dritten Tag steht Urgroßvater wieder auf, die Frau sieht vom Moor aus, wie er um das Haus stapft. Er zerrt einen Haufen verhedderter Netze aus dem Schuppen und trennt die Leinen von den Maschen. Bis zum Abend hat er bei sechs Netzen die Taue gekappt und dadurch hundertachtzig Meter Leine erhalten, die er miteinander verspleißt. Den Fragen seiner Frau im Lauf des Abends geht er aus dem Weg. Am nächsten Morgen zieht er, während sie beim Melken ist, mit Pferd und Wagen zum Ufer hinab, den Karren beladen mit Hammer und Schaufel, einem Holzblock von gut einem Meter Länge und den hundertachtzig Metern Leine. Die ältere Tochter, die für ihre Verhältnisse ungewöhnlich früh auf den Beinen ist, um herauszufinden, was der Vater vorhat, informiert die Mutter, und die beeilt sich, mit dem Melken fertig zu werden. Die Kuh sieht ihr vorwurfsvoll nach. Als Mutter und Tochter am Ufer ankommen, hat Urgroßvater den Karren entladen und buddelt gerade ein Loch in den Sand. Da hinein steckt er schräg den Holzblock, schüttet
    Sand an, klopft mit dem Hammer nach, füllt noch einmal Erde auf und klopft sie fest. Dann bindet er das eine Ende der Leine um den Block, das andere um den Achtersteven des Bootes, sorgsam bindet er die Knoten und zieht sie gut fest. Er würdigt die Frauen keines Blicks, als er das Boot ins Wasser schiebt und einsteigt. Entschlossen rudert er hinaus, so weit die Leine reicht. Dort wirft er das Netz aus, spuckt kräftig aus und rudert zurück.

Eine Nacht, die vergeht, eine Kerze, die herunterbrennt
    In einer halbdunklen Augustnacht erwacht Urgroßmutter von fernem Motortuckern, das fast im selben Augenblick verstummt, in dem sie die Augen öffnet. Sie liegt da und horcht, dann beginnt Urgroßvater wieder zu schnarchen, mit leisen Zügen, die wie fernes Motorengeräusch klingen. Sie kann nicht wieder einschlafen und steht auf. Gegen die Bodenkälte streift sie ein paar Wollsocken über, aber auch um ihre Schritte zu dämpfen. Sie schaut bei den Kindern herein. Die beiden jüngeren teilen sich ein Zimmer, die Ältere hat ein eigenes. Sie murmelt etwas im Schlaf und hat sich freigestrampelt, das lange, blonde Haar umgibt ihr Haupt wie heller Nebel. Urgroßmutter deckt sie wieder zu, küsst sie auf

Weitere Kostenlose Bücher