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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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sagen. Zu Beginn des Sommers sucht sie noch die Gesellschaft der Bücher und des Harmoniums, aber das Heimweh nach Reykjavik kann so überwältigend und plötzlich kommen, dass sie mitten in einem Stück oder Satz abbricht und schreit. Sie will zurück. »Nein«, sagt ihr Vater, »wir bleiben hier. Das ist unser Zuhause, hier schlagen wir Wurzeln. Sprich mit dem Land! Das tue ich auch. Die Steine sind meine Freunde und die Berge.«
    »Das ist doch Schwachsinn!«, schreit sie ungezogen und läuft weg, läuft und läuft, bis der Hof außer Sichtweite ist, bis zu einer Anhöhe mit einem kleinen Fels auf dem Gipfel. Das Mädchen wirft sich zu Boden, weinend und völlig verzweifelt. Aus der Ferne gleicht der Hügel dem Kopf eines Trolls, der vor tausend Jahren in die Erde eingesunken ist. Mittlerweile ist er ganz von Gras überwachsen, bis auf die düstere Stirn. Das Mädchen starrt diese Stirn an und stellt sich vor, sein hellblondes Haar könne den jahrtausendelangen Schlaf des Trolls stören. Es schließt die Augen und wartet darauf, dass die Erde zu beben beginnt, wenn der Troll tief unten im Erdreich zum ersten Mal seinen Arm bewegt. Es wartet, nichts passiert. Die Erde bebt nicht, aber auf einmal hört es überall um sich herum Stimmen und öffnet die Augen.
    Swisch, swisch, Urgroßvater schwingt die Sense auf der Hauswiese, auf den Außenwiesen und im feuchten Moor, swisch, swisch, und abends fällt er müde und zerschlagen ins Bett, der Rücken tut ihm weh, der linke Arm ist steif. »Nichts ist so wunderbar wie diese Art von Müdigkeit«, sagt er mehr als einmal zu seiner Familie. Jeden Morgen aber blickt er zum Strand und dem Boot hinab, geht auch ein paarmal hin und dreht es um, damit die Kleinen diese Nussschale in ein Schlachtschiff verwandeln können. »Das Essen wird allmählich knapp«, sagt Urgroßmutter einmal. »Ich hatte mit Fisch von hier gerechnet, als ich in Arnarstapi Lebensmittel bestellte.«
    Schweigen.
    »Es dauert noch Wochen, bis sie das nächste Mal kommen«, setzt sie hinzu und meint das Motorboot. »Vielleicht sollte einer von uns in den Ort gehen und einkaufen.«
    Schnell blickt er auf, es zuckt in seinem Gesicht, dann senkt er den Blick, scheint tief durchzuatmen, knallt auf einmal mit aller Macht die Faust auf den Tisch. Sie zuckt zusammen, im Wohnzimmer verstummt das Harmonium. Er springt auf und stürmt aus dem Haus. Sie wartet, zwingt sich, langsam bis fünfzig zu zählen. »Einundzwanzig«, murmelt sie, das Mädchen kommt in die Küche. »Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …« Als sie aus dem Haus treten, ist er dabei, den Grauen vor den Karren zu spannen, und tut so, als würde er sie nicht sehen. Nur wenige Minuten später führt er das Pferd zum Strand hinab, den Karren mit zwei Netzen beladen und vier großen Steinen, um sie zu beschweren. Der Himmel ist klar, es weht eine leichte Brise. Mutter und Tochter laufen ihm nach und holen ihn am Boot ein. »Wir brauchen doch Fisch«, sagt er, ehe Urgroßmutter den Mund öffnen kann. »Hier sind Netze, hier ist ein Boot, und da ist das Meer«, fügt er hinzu. »Das ist doch alles, was man braucht.«
    »Ja«, sagt sie.
    »Die Heuernte war gut, und jetzt habe ich Zeit genug, ein bisschen fischen zu gehen.«
    »Ja«, sagt sie und hilft ihm, die Netze vom Karren zu laden. Großvater und das kleine Mädchen wollen mit, es ist schließlich ihr Schiff. »Du bist nur einfacher Matrose«, erklärt Großvater seinem Vater, der aber gerade kein Ohr für solche Dinge hat. Er schiebt das Boot ins Wasser, schwingt sich hinein und rudert mit kräftigen Schlägen los.
    Das Land bleibt zurück. Urgroßmutter und die Kinder werden kleiner, er rudert voll Eifer. »Pah, kein Problem«, sagt er laut zu sich selbst. »Wahrscheinlich bin ich dazu geboren. Das ist nur der Anfang, Teufel noch mal! Hier werden noch einmal richtig große Mengen angelandet werden.« Dabei ist er einige Male kurz davor, ein Ruder zu verlieren. Die See atmet schwer unter seinen Fersen. Er rudert, die Menschen am Ufer schrumpfen, das Boot gleitet voran, hebt sich auf die langen Wellen. Urgroßvater wird langsam müde, stellt das Rudern ein und sieht sich um. Da ist nichts bis auf den unendlichen Ozean. Die Brise weht, ansonsten ist nichts zu hören, bis auf seine hektischen, gepressten Atemzüge. Er zieht die Ruder ein, legt die rechte
    Hand aufs Dollbord und schaut vorsichtig darüber hinweg. Die See rund um das Boot ist dunkel, fast schwarz. Urgroßvater blickt zum Land zurück: Es

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