Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
und Urgroßvater fragt zum dritten Mal: »Bist du mir böse? Bist du unzufrieden mit mir, ich meine, he, steh still! Ich meine, wenn ich dir zur Last falle, wirst du wohl, steh! Damit könnte ich niemals leben, ich, ruhig, steh, du Mistvieh!« »Versuch doch nur dieses eine Mal, etwas durchzuhalten! Um was anderes bitte ich dich gar nicht«, sagt Urgroßmutter und klatscht dem Pferd die flache Hand auf die Kruppe. Es schießt los, und der Wind übermütig hinterher.
Die älteste Tochter mit dem Blondhaar geht zuweilen jeden Tag zu jenem Hügel, und Urgroßvater behauptet stolz, sein großes Mädchen würde mit Elfen spielen. »Gott steh der Ärmsten bei!«, ruft manch einer daraufhin, doch dann wird Urgroßvater entweder wütend oder fängt an zu lachen. Einmal kommt das Mädchen mit einem Stein nach Hause, der genau wie ein kleiner Mensch geformt ist. Bei Tisch betrachtet jeder das Ding eingehend und nimmt es in die Hand. Das Mädchen schenkt den Stein seiner kleinen Schwester. Es wird Frühling, und der Himmel streut Watvögel über Snæfellsnes.
Sie machen sich auf den Weg nach Arnarstapi, »Einkaufstour in den Handelsort« nennt Urgroßvater die Reise, obwohl Handelsort ein ziemlich großes Wort für eine so kleine Ansammlung von Häusern ist. Aber die Bedeutung von Wörtern kann sich nun einmal je nach der Perspektive ändern, aus der man sie betrachtet. Und das ist nur gut so, denn dann gibt es wenigstens noch Unterschiede zwischen Menschen und Orten, dann gibt es noch Leben und Bewegung in der Sprache. Für Großvater und seine kleine Schwester ist Arnarstapi jedenfalls der Handelsort, ein geradezu überwältigendes Gedränge von Gebäuden. Er ist sechs, sie ist vier, und das eine Jahr auf Snæfellsnes hat Reykjavik schon in die Nebel des Vergessens sinken lassen. In diesem Alter können ein Jahr zurückliegende Erinnerungen schon mit Traumbildern verschmelzen. Das ältere Mädchen verzieht nur das Gesicht, als es die Häuser von Arnarstapi auftauchen sieht. Urgroßvater unterhält sich mit Leuten dort, stellt sich vor, macht sich mit den Verhältnissen bekannt. Urgroßmutter kauft ein, unternimmt danach einen Spaziergang mit den Kindern. Eines der Häuser steht ein wenig abseits von den anderen, als habe es vor etwas Schutz gesucht. Es ist ein bescheidenes Holzhaus. Ein rothaariger Kapitän wohnt darin. »Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ihr die nächsten sechs Wochen nicht zu kommen braucht. Wir haben genügend eingekauft.« »Aha«, sagt der Kapitän, »ihr seid also auf Einkaufsbummel.« »Ein hübsches, kleines Häuschen hast du da«, bemerkt Urgroßmutter. »Es steht nur ein bisschen abgesondert von den anderen. Mir persönlich gefällt es, mich mehr für mich zu halten. Jaja, das war eigentlich schon alles«, sagt sie und verabschiedet sich. Da sagt er zu den Kindern: »Ich habe einen Vogel mit gebrochenem Flügel drinnen bei mir, und ich wollte ihn eigentlich gleich ein wenig im Freien laufen lassen.«
Sie bleiben eine ganze Stunde. Einmal stehen Urgroßmutter und der Kapitän so dicht nebeneinander, dass alle Gesetze ungültig werden, sie sind sich so nah, dass sie den Geruch nach Fisch und seinen warmen Körper spürt.
Willst du wirklich wissen, wer mein Unglück ist?
Es wird ein ziemlich kühles Frühjahr, aber die Geburten der neuen Lämmer verlaufen gut. Sie haben inzwischen elf Schafe, die insgesamt siebzehn Junge zur Welt bringen. Vier davon sterben. Urgroßvater lässt den Rappen stehen und denkt über Schafzucht nach. Er sitzt im Stall, benutzt seine Knie als Schreibpult und notiert seine Ideen über die Zukunft. Wenn ein Schaf kurz vor dem Lammen steht, bleibt er schon einmal eine ganze Nacht bei ihm. »Vollkommen unnötig«, sagt Urgroßmutter, aber er hält trotzdem Wache. Er genießt es, müde und allein in der Nacht auf zu sein. »Ich, eine Zigarre und die Nacht«, sagt er dazu. Manchmal geht er ums Haus und streichelt es wie ein edles Tier, denkt über Dachkonstruktionen nach und murmelt etwas vor sich hin. Eines Morgens im Juni weckt er Urgroßmutter in aller Frühe, eigentlich noch in der Nacht. »Es ist noch nicht einmal halb fünf«, knurrt Urgroßmutter ungehalten und will weiterschlafen. »Nein«, sagt Urgroßvater und zieht ihr die Decke weg. »Komm nach unten! Sofort. Ich muss mit dir reden.« Er erwartet sie mit frischem Kaffee in der Küche. Es regnet, und der Regen verwandelt die helle Juninacht in Zwielicht, Gras und Heide wirken bräunlich, das Land nass und kalt,
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