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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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regnet noch immer. Urgroßvater sieht seine Frau an, die mit hängendem Kopf dasitzt, sie hat einen hübschen Nacken, der Morgenrock ist von einer Schulter etwas heruntergerutscht. Er sieht ihre Brust, es wäre wundervoll, sich hier in der Küche zu lieben. Die Kinder schlafen, und draußen strömt der Regen. Auf dem Fußboden, nein, auf dem Küchentisch, Urgroßvater wird ganz erregt bei der Vorstellung. Sie sitzt vollkommen reglos da und beginnt dann zu reden. Sie versucht gar nicht, ihn von der Fahrt nach Reykjavik abzubringen, sie bringt ihn lediglich dazu, zu versprechen, dass er in der Stadt keine Entscheidung treffen wird, ohne sich vorher mit Gisli zu beraten. Der könne auf den ersten Blick zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. Sie könne ohne weiteres die paar Wochen den Hof allein versorgen, »aber«, fügt sie hinzu, »bist du in sechs Wochen nicht wieder da, dann sehe ich unser Snæfellsnes-Abenteuer als beendet an. Dann war es nur ein schöner Traum, und wir ziehen alle nach Reykjavik zurück.«
    Überrascht und ein wenig verletzt starrt er seine Frau an. »Glaubst du vielleicht, das seien alles nur unausgegorene Hirngespinste? Aber gut, ich werde alles mit Gisli besprechen. Oder hast du Angst, ich würde mein Wort nicht halten? Oder bist du …?«
    »Sechs Wochen«, sagt sie noch einmal.
    Drei Wochen vergehen.
    Vier.
    Fünf Wochen. Urgroßmutter schwingt die Harke; es regnet viel. Keine Nachrichten von Urgroßvater. Sie schwingt die Harke und wimmelt die Fragen der Kinder ab. Eines Tages kommt ein Motorboot. Es ist mitten am Tag, und ein rothaariger Seemann kommt zu Besuch. Die Kinder begrüßen ihn freudig. Er hilft ihnen beim Heumachen und trägt das kleine Mädchen auf den Schultern nach Hause. Am Abend erzählt er ihnen Märchen. In allen ragt ein weißer Gletscher in den blauen Himmel. Als die Kinder eingeschlafen sind, sitzen die beiden Erwachsenen noch lange in der Stube und reden. Die Nacht ist hell. Sie macht ihm in der Stube ein Bett, wünscht eine Gute Nacht und geht nach oben. Dort liegt sie in ihrem Bett. Da kommt er die Treppe herauf.
    Eine Woche später hat er sämtliche Möbel aus dem Haus getragen. Nach den verregneten Wochen hat es aufgeklart, der Boden aber ist völlig aufgeweicht. Er setzt Klötze unter das Harmonium und schleift es zum Strand hinab. Die ältere Tochter ist zum Nachbarn geschickt worden. Der Bauer kommt gleich mit ihr, bleibt kurz und nimmt dann die Kuh und das Kalb mit. Urgroßmutter hat sich schon am Morgen von der Kuh verabschiedet, den großen Kopf umarmt und geweint. Die Kuh hat mit ihrer rauen Zunge ihre Hände geleckt. Die ältere Tochter weiß sich vor Freude kaum zu fassen, Großvater aber heult, stampft mit den Füßen auf und läuft davon. Urgroßmutter muss eine ganze Stunde nach ihm suchen und findet ihn dann schließlich im hohen Gras zwischen den Bülten. Er presst sich an die nasse Erde, wehrt sich aber nicht, als Urgroßmutter ihn wegzieht. Doch er weint und hat diese Kraftlosigkeit im ganzen Körper, die einen manchmal überfällt, wenn es völlig aussichtslos ist, Widerstand zu leisten.
    Sie nehmen nicht viel mit. Die Möbel, all die toten Dinge, die sich um Menschen ansammeln und einen mehr oder weniger unbestimmten Zweck erfüllen, aber irgendwie zu ihnen gehören, werden am Abend von anderen abgeholt. Das Haus steht in Flammen, als sie abfahren. Sie gehen nach Arnarstapi und warten dort zwei Tage auf das Küstenschiff. Der Kapitän heißt Töbielk, hat einige Zeitschriften abonniert und weiß einiges von der Welt. Er kann gut erzählen, die Kinder verlangen immer noch mehr Geschichten von ihm, sie gehen zusammen spazieren, er zeigt ihnen den Ort, und manchmal wandern sie weit in die unberührte Natur hinaus. Töbielk schenkt dem älteren Mädchen drei Bücher, schnitzt für Großvater ein Schwert und für das kleine Mädchen eine Puppe und schenkt ihr eine seltene Muschel. Urgroßmutter bekommt den Rest: die Küsse, die Berührungen, die Erinnerungen, eine Zukunft, Leben.
    Dann fährt sie mit dem Schiff davon.
    In der Nacht davor schlafen sie nicht eine Sekunde.
    »Willst du wissen, was mein Unglück ist?«, fragt sie einmal. »Ja«, sagt er, »nein, doch nicht.«
    »Mein Unglück ist es, dass ich dich liebe. Oder ist es Glück?
    Was meinst du?«
    Sie stehen an Deck. Die Kinder winken und rufen diesen seltsamen Namen: »Töbielk! Töbielk!« Sie sehen, wie Snæfellsnes zurückbleibt, sehen den Gletscher kleiner werden und den Himmel

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