Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
darüber größer. Sie sehen ein Jahr ihres Lebens im Meer versinken. Und er blickt dem Schiff nach, bis es außer Sicht ist. Dann macht er kehrt, sieht sich um. Der Snæfellsjökull ist ein Berg, der mit furchtbar viel altem Schnee bepackt ist.
Teil IV
17
Schönes Wort: Sinn, und schön, es sich laut vorzusagen, während die Erde ziellos durch den Weltraum schießt. Vielleicht ist es das schönste Wort der Sprache, wenn man »Komm her« einmal ausnimmt.
Sinn, murmelt man vor sich hin, komm her! Und dann ist es, als ob einem jemand ein Seil zuwirft. Ich halte das eingebildete Ende fest, und die Erde saust weiter. Der Himmel wird dunkel um uns, es ist Abend; er hellt sich auf und wird schließlich blau, dann ist es Tag. Doch dieser Himmel, Gottes Wohnstatt und das Dach über unserem Dasein, existiert gar nicht, außer in unseren Köpfen. Himmel ist bloß ein Wort, das wir für eine unvorstellbare Ferne benutzen – und auf sie halten wir Kurs.
Sterne blinken, Hunde kläffen, ich erzähle diese Geschichte, es ist immer dasselbe. Man sucht nach dem Ursprung und erzählt zwischenzeitlich Geschichten, wahrscheinlich, um zu vergessen, dass es keinen Himmel gibt. Keinen Anfang und kein Ende, lediglich Bewegung und unendliche Ferne, das ist alles. Und doch kann alles ein bloßes Missverständnis sein, ein wissenschaftlicher Trugschluss, und dann gibt es vielleicht doch etwas, das wir noch nicht verstehen. Es bleibt eine beträchtliche Ungewissheit, und in ihrem Schutz kann ich diese drei Worte schreiben:
Sinn, Komm, Himmel.
Weiter kein Wort davon
Ich weiß nicht, wie es meinem Vater erging, der sich gut zweihundertmal morgens in seinem Schlafzimmer räusperte und dessen Hände nach irgendetwas griffen, wenn der Wecker explodierte und es sich anfühlte, als wolle ihn der Tag vom Dach des Wohnblocks stürzen, nein, ich weiß nicht, mit welchen Worten sich die Veränderungen in seinem Leben beschreiben lassen, diese rauchenden Ruinen, als an einem eher dunklen Frühlingsmorgen leibhaftig diese Frau an seiner Seite erschien, die später den Namen Stiefmutter erhielt und daher ewig eine Aura düsterer, ja, hasserfüllter Märchen um sich haben wird. Aber was mich betrifft, ist die Sache vergleichsweise einfach, denn wenn sie nicht eines Tages aus dem Schlafzimmer meines Vaters gekommen wäre, hätten mich die Nächte vielleicht fertig gemacht. Ich sage es hier und jetzt, und dann kein Wort mehr darüber: Wenn auch vielleicht nicht in der apathischen Helle des Sommers, dann im dichten Dunkel des Winters hätten sie mich umgebracht, und das trotz des zitternden Heldenmuts meiner Spielzeugsoldaten, die selbst den Mond mit ihren Waffen bedrohten.
Agnes
Der Fluss der Abenteuer von Enid Blyton ist das beste Buch, das jemals geschrieben wurde. An einem Freitagabend fange ich an, es zu lesen, früh am Samstagmorgen bin ich durch und laufe gleich zu Petur, um ihm die Geschichte zu erzählen, die das gesamte Dasein umfasst. Doch Petur hat kein Interesse an Enid Blyton. Er hockt vor einem Schachspiel. Es ist so neu, dass noch sämtliche Figuren glänzen. Ich gehe wieder zu mir, und während draußen die winterliche Dunkelheit zunimmt und Häuser und Blöcke voneinander entfernt, lese ich den Fluss der Abenteuer gleich noch einmal.
Einige Tage später, vielleicht ein oder zwei Wochen, bin ich mit vielen anderen Kindern aus Safamyri in dem Raum über der Buchhandlung versammelt. Wir bekommen von zwei Männern die Regeln des Schachspiels erklärt. Einer stellt uns erst einmal die Namen der Figuren vor. Manche von ihnen tragen interessante Bezeichnungen wie Springer, Läufer oder Dame. Sieht ganz gut aus, aber dann lässt die Aufmerksamkeit allmählich nach, je länger die Männer reden. Auf mich macht das keinen sonderlichen Eindruck. Diese Männer haben sicher nie um ein Wachfeuer gesessen und auf die zerbrechlichen Töne einer Mundharmonika gehört, während feiner Nieselregen die Gewehrläufe kühlt. Wenn man ihnen einmal kräftig auf den Rücken haute, würden sie bestimmt in einer Staubwolke verpuffen. Dennoch verbreitet sich das Schachspiel über ganz Safamyri, und unwillentlich lernt man die Züge der einzelnen Figuren. Es kommt von ganz allein, und die Felder auf dem Schachbrett ändern die Gesetze, nach denen die Welt funktioniert. Neue Helden treten auf, der Glanz der alten verblasst, und für selbstverständlich gehaltene Maßstäbe sind nicht länger selbstverständlich. Wenn man sich ans Schachbrett setzt, spielt die
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