Das Knochenhaus
Öffentlichkeit keinerlei Bevorzugung in der Wahl seiner Begleiterinnen erkennen und sich jeden Abend mit einer anderen Schönheit sehen ließ, gab es dennoch eine, die sich langsam aus dem Rudel herausschälte: ein schlankwüchsiges blondes Schätzchen namens Phillipa Harvey-Jones, Tochter und einzige lebende Erbin des prominenten Industriellen Reginald Harvey-Jones, eines Mannes, der wie kein anderer danach strebte, in den Adelsstand erhoben zu werden. Reggie, wie er von Freunden und Bewunderern genannt wurde, stand in dem Ruf, ein knallharter Geschäftsmann zu sein, dessen einzige Freude im Leben darin bestand, vernarrt in seine Tochter zu sein.
Als ihr Name immer häufiger mit dem des schneidigen Burleigh in Verbindung gebracht wurde, erregte dies natürlich Reggies großes Interesse. Als die beiden Männer sich das erste Mal trafen, kam er schon nach wenigen Minuten auf den wichtigsten Punkt zu sprechen.
»Ihr Geld, Sir. Woher bekommen Sie es?«
»Verzeihung?« Archelaeus hob seine Augenbrauen.
»Wir sind doch Männer von Welt«, erklärte Reg. »Lassen Sie uns nicht schüchtern sein – besonders, wenn es ums Geld geht. Wir beide wissen, dass es keine Frage des Charakters ist. Bestenfalls ist es nur ein willkürlicher Gradmesser dafür, welchen Platz ein Mann in der Welt einnimmt.« Er fixierte den jungen Lord mit schmalen, rücksichtslos blickenden Augen. »Also, wie viel haben Sie eigentlich?«
»Das ist schwer zu sagen«, antwortete Burleigh, der mühelos zu einem vertraulichen Tonfall überging. »Mit all meinem Eigentum im Norden, den südlichen Besitzungen und dem Haus in London. Das meiste davon gehört natürlich der Familie.« Archie hatte schon vor langer Zeit gelernt, mit der den Londonern angeborenen Unwissenheit über Schottland im Allgemeinen und dessen Oberschicht im Besonderen zu spielen.
»Dann nur Ihre privaten Vermögensverhältnisse, also Ihre eigenen Privatkonten: Über wie viel verfügen Sie persönlich?«
»Oh, ich würde sagen – so um die Zehntausend.«
»Nicht übel.«
»Jährlich, versteht sich«, fügte Burleigh beinahe entschuldigend hinzu.
»Ich bin beeindruckt.« Harvey-Jones blickte ihn mit neuer Hochachtung an. »Das ist zweimal so viel wie meine Einkünfte, und ich arbeite hart für das, was ich bekomme.«
»Dessen bin ich mir sicher«, bekräftigte der junge Lord in mildem Tonfall. »Meine eigene Arbeit ist mehr eine Form von Freizeitbeschäftigung.«
»Ein Hobby, Sir?«
»Etwas in dieser Art.« Der junge Gentleman gestattete sich einen Seufzer. »Doch man muss seine leeren Stunden ausfüllen, so gut man es vermag.«
»Wenn Sie verheiratet wären, würden Sie andere Möglichkeiten finden, um solche Stunden auszufüllen«, deutete der Industrielle an.
»Das könnte ich mir denken.«
»Außerdem würden Sie bald weniger Stunden haben, die Sie ausfüllen müssten.«
»Daddy«, zwitscherte eine warme weibliche Stimme. »Mit deinem Geplapper reißt du unseren Gast vollkommen an dich.« Sie trug ein missfälliges Stirnrunzeln zur Schau. »Du sprichst nicht noch einmal über Geld, nicht wahr? Sag mir, dass du es nicht mehr tust.«
»Nichts läge mir ferner, Pippa-Schätzchen.« Reggie gab seiner goldhaarigen Tochter ein Küsschen auf die Wange. »Wir haben gerade über Hobbys und Nebenbeschäftigungen gesprochen. Der Earl hier beklagt sich über zu viel freie Zeit. Ich habe ihm gesagt, er braucht eine Frau.«
»Daddy!« Phillipa keuchte auf, sie war gleichzeitig entsetzt, beschämt und aufgeregt. Sie blickte auf Burleigh, um seine Reaktion auf diesen dreisten, beleidigenden Angriff auf seine Würde einzuschätzen. »Oh, bitte vergebt meinem Vater. Er kann manchmal so ein gemeiner Kerl sein.«
»Ja, vergebt mir«, bat nun auch Reggie. »Ich bin nicht in den Genuss einer guten Erziehung gekommen, derer sich meine Tochter hat erfreuen können. Aber so ist das nun mal. Ein Mann braucht eine Frau. Nun, Sir, was sagen Sie dazu?«
»Ich sage ...«, antwortete Burleigh langsam und blickte, während er sprach, starr auf Phillipa, »dass Glück, ebenso wie Reichtum, nichts bedeutet, solange es nicht jemanden gibt, mit dem man es teilen kann.«
»Gesprochen wie ein wahrer Romantiker«, johlte Reggie.
»Oh, Daddy, benimm dich anständig.« Phillipa legte eine Hand auf den makellosen schwarzen Ärmel von Burleighs Dinnerjacke und erklärte: »Ich versichere Ihnen, Mylord, dies ist eine Einstellung, die ich teile.«
»Dann werden Sie mir vielleicht die Ehre geben und heute
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