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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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bei dir sein.«
    »Aber du bist doch die ganze Zeit bei mir«, hob er hervor.
    »Ich weiß.« Sie küsste ihn erneut, stieg die Treppe hoch und ging in ihr Zimmer. Dort holte sie, nachdem sie die Tür geschlossen hatte, die Ley-Lampe aus ihrer Tasche und ging hinüber zu der großen Truhe, in der sie ihre Kleidung und die wenigen wertvollen Dinge aufbewahrte, die sie besaß. Sie schloss die Kiste auf und wickelte das Messinginstrument in einen Strumpf.
    Ich frage mich , dachte sie, während sie das Bündel unter ihr Ersatznachtgewand am Boden der Truhe steckte, was es noch alles kann.

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ZWÖLFTES KAPITEL

    E s wäre eine bessere Welt, wenn jedes Kind sich der Liebe und Fürsorge eines hingebungsvollen Elternpaars erfreuen würde, sodass es eine feste Grundlage mitbekäme, auf der sich ein solides und produktives Erwachsenendasein bauen ließe. Doch leider ist das nicht unsere Welt. Und es ist auch nicht die Welt, in die Archibald Burley hineingeboren wurde. Die Geschichte des kleinen Archie gehört zu denen, die noch ein Stück düsterer und verzweifelter sind als die üblichen – und doch auf triste Weise vertraut. Wie könnte es auch anders sein? Das alles haben wir schon früher gehört: eine Geschichte, die so alt ist wie die Zeit und sich weltweit täglich wiederholt. Wir kennen sie bereits auswendig. Denn die Notlage unverheirateter Mütter ist ebenfalls nur allzu sehr vorhersehbar. Und Gemma Burleys Abstieg vom sittsamen, respektablen Kensington ins übel riechende, mit Menschen vollgestopfte Bethnal Green ist fast zu banal, um darüber in allen Einzelheiten zu berichten. Dennoch ist das die nun anstehende Aufgabe, wenn wir alles verstehen wollen, was von jener anfänglichen Zurückweisung herrührte, die Gemma und ihr Sohn durch den Vater des Jungen erlitten hatte – und alles, was dann später kommen sollte ...
***
    »Ar-chie!«, stöhnte Gemma mit leiser, abgehackter Stimme. »Ar-chie, komm her, mein Liebling. Ich brauche dich.«
    Der Junge schlich zum Türeingang, die schmächtigen Schultern hingen herab. Er fürchtete bereits die Frage, von der er wusste, dass sie nun kommen würde.
    »Ich habe keine Medizin mehr. Du musst rauslaufen und mir etwas mehr davon besorgen.« Sie streckte ihre Hand aus. »Hier ist etwas Geld.«
    »Au, Mum«, jammerte er. »Muss ich das wirklich?«
    »Schau mich an, Archie!«
    Er hob den Blick zu ihrem verwüsteten Gesicht. Mit ihrem schmutzigen, verfilzten Haar, ihrer unsauberen Kleidung und den fehlenden Knöpfen sah sie nicht mehr wie die Frau aus, die er kannte.
    »Ich bin krank, und ich brauche meine Medizin«, beharrte sie; ihre Stimme gewann wieder an Kraft. »Und zwar sofort. Du kommst jetzt her und nimmst das Geld.«
    Während er langsam an ihr Bett trat, betrachtete er seine Mutter. Ihr Gesicht war verhärmt und die Stirn bleich; unter ihren stumpfen Augen lagen dunkle Halbkreise und auf der Oberlippe kleine Schweißtropfen; und ihre Haut sah wächsern aus. Er hatte sie schon früher so gesehen, und mit sinkendem Herzen wurde ihm bewusst, dass es heute kein Abendessen für ihn geben würde. Er streckte die Hand aus und nahm die wenigen Münzen entgegen.
    »Jetzt sei ein guter Junge und lauf.«
    Mit gesenktem Kopf drehte sich der schmächtige Junge um und machte ein paar schlurfende Schritte von ihr fort.
    »Und trödel nicht herum, Archie. Versprich mir das.«
    »Ich werd’s nicht tun.«
    Sie richtete sich ein wenig auf. »Guter Junge. Und jetzt fort mit dir, und beeil dich auf dem Rückweg. Zum Abendessen gibt es Brot und Käse für dich. Je früher du zurückkehrst, desto früher kannst du dein Brot und deinen Käse haben. Wir werden auch alles rösten. Du magst das doch, nicht wahr, Archie? Du magst es, wenn dein Brot und dein Käse geröstet sind; ich weiß das doch. Das werden wir haben, sobald du zurück bist. Und jetzt lauf.« Sie sank erschöpft zurück. »Guter Junge.«
    Draußen flitzte Archie den Aschenpfad hinter dem Haus hinunter, das er und seine Mutter sich mit anderen Wandermietern teilten. Die drei Münzen, die seine Mutter ihm gegeben hatte, hielt er in seiner Faust umklammert; es waren zwei Viertelpennys und ein Sixpence-Stück. Während er durch die Gasse lief, steckte er die Münzen in die Tasche. Er musste zahlreichen Pfützen ausweichen: Einige rührten vom letzten Regen her, andere waren erst kürzlich durch stinkendes Schmutzwasser entstanden, das die Anwohner aus ihren Kücheneimern und Nachttöpfen geleert hatten. Am Ende der Gasse

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