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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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sich, drehte sich um und schaute zum ersten Mal den Jungen direkt an. »Du bist doch der Balg, der neulich was aus meinem Lager gestohlen hat.«
    »Nee, Sir«, log Archie. »Ich hab nie was nix jeklaut.«
    »Du siehst aber wie dieser Schlingel aus.«
    Archie streckte seine schmutzige Hand mit den zwei kleinen Münzen aus. »Is’ genau für drei Äpfel.« Er zeigte ein verzweifeltes Lächeln. »Fü’ minne kranke Mum, ja ne’?«
    »Gott, steh uns bei«, seufzte der Gemüsehändler. »Langsam werd ich wohl weich im Kopf.« Er drehte sich zur Ladentür um. »Warte hier.«
    Archie blieb auf dem Bürgersteig vor der Tür stehen und hörte ein Rascheln, das der Händler drinnen verursachte. Einen Moment später tauchte der Mann wieder auf. »Hier«, sagte er und hielt drei ziemlich große Äpfel in den ausgestreckten Händen. »Zuerst das Geld!«, forderte er, als der Junge danach greifen wollte.
    Archie übergab die Münzen und erhielt die Äpfel. Zwei davon stopfte er in seine Hosentaschen und rannte wieder weg.
    »Ein Wort des Dankes wäre nicht verkehrt!«, rief ihm der Gemüsehändler hinterher.
    »Danke!«, schrie Archie, ohne seinen Laufschritt zu unterbrechen.
    Er lief, bis er die Brücke erreichte, wo er seinen gewohnten Platz einnahm. Wie er vermutet hatte, verringerte sich bereits die Zahl der Leute, die von der einen Seite der Stadt zur anderen unterwegs waren. Es gab ein paar, die allein zu Fuß oder mit einem Karren über die Brücke gingen; und die Zahl der Kutschen war noch geringer. Gleichwohl gab es immer noch einige, die aus der Innenstadt zu den Vororten strebten. Archie rieb einen Apfel, bis er glänzte, und begann mit der Arbeit. Er näherte sich jeder vorbeirollenden Kutsche und rief laut: »Kauft einem Waisenkind einen Apfel ab! Kauft einen Apfel! Helft einem Waisen!«
    Bei den bessergestellten möglichen Kunden – wenn also in den Kutschen gut gekleidete Damen und Herren saßen – lief er oft ein kleines Stück neben dem Gefährt. Manchmal, wenn die Leute seine Entschlossenheit sahen, ließen sie ihre Kutschen anhalten; und dann machte er ein gutes Geschäft. Es lohnte sich nicht, auf die Fußgänger zuzugehen oder auf einen der vielen Zeitgenossen, die ihren Handkarren über die Brücke schoben: Von ihnen hatte er nie etwas anderes als ungehobelte Beschimpfungen erhalten.
    Heute versuchte er es bei jeder Kutsche, die an ihm vorbeikam; die Passagiere der ersten beiden hatten jedoch noch nicht einmal nach ihm geguckt. Das dritte und vierte Gefährt rollten ebenfalls weiter, ohne anzuhalten; und bei den nächsten drei war es nicht anders. Er musste warten, bis eine weitere Kutsche herbeirollte; und nun gelang es ihm, von einem weißbärtigen Gentleman mit Zylinder drei Pence zu bekommen.
    Danach waren keine Kutschen mehr zu sehen – weder in der einen noch in der anderen Richtung. Archie wartete eine ganze Weile; er sah zu, wie die Schatten um ihn herum immer länger wurden, und lauschte dem Wellengang des Flusses unter der Brücke. Es gab immer noch ein paar, die mit Handkarren vorbeikamen, und einige Arbeiter und andere Leute, die zu Fuß gingen; doch es waren keine Kutschen mehr unterwegs. Er fragte sich, ob es wohl eine gute Idee wäre, am Ufer entlang zur nächsten Brücke zu laufen. Auf ihr herrschte vielleicht mehr Verkehr, und möglicherweise würde er dort noch einen Apfel verkaufen können.
    Gerade als er seinen Platz verlassen wollte, sah er, dass eine einsame Kutsche auf das andere Ende der Brücke polterte. Archie polierte den Apfel ein weiteres Mal an seinem Hemd und nahm seinen unterwürfigsten und zugleich hoffnungsvollsten Gesichtsausdruck an. Könnte er einen weiteren Apfel verkaufen, würde dies bedeuten, dass er heute ein richtiges Abendmahl bekäme, von dem vielleicht noch etwas für das Frühstück übrig bliebe. Sobald die Pferde auf gleicher Höhe mit ihm waren, sprang der Junge zur Kutsche und stimmte sein Klagelied an: »Helft einem Waisen! Kauft einen Apfel!«
    Das Gefährt ratterte weiter; also begann der Junge, längsseits der Kutsche zu laufen. Dabei hielt er den Apfel hoch und wiederholte mit lauter Stimme seine Bitte. Nach dem dritten Mal hörte er, dass jemand dem Kutscher etwas zurief, der daraufhin die Pferde anhielt. Archie blieb vor der Kutschentür stehen, und ein Fenster wurde geöffnet. »Bitte, Sir, kaufen Sie einen Apfel!«, rief er »Helfen Sie einem armen Waisen.«
    Ein Gesicht erschien im Fenster: ein junger Mann mit langer Nase und blondem

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