Das Knochenhaus
leise vor sich hin. »Genau so fühle ich mich jetzt.«
Kit nickte voller Anteilnahme. »So fühle ich mich die ganze Zeit.«
»Die Zeit ... ein seltsamer Stoff«, sinnierte Thomas. »Zeit ist das zentrale Mysterium unserer Existenz. Sie begrenzt und bestimmt uns auf vielerlei Weise. Wir gehorchen ihrer unerbittlichen Maschinerie während unseres ganzen Lebens, und trotzdem wissen wir fast nichts darüber. Warum fließt die Zeit nur in eine Richtung? Woraus besteht sie? Wie ist sie angeordnet? Ist sie überall für jeden gleich? Oder kann ihre Substanz oder ihre Geschwindigkeit vielleicht durch irgendwelche Vorgänge verändert werden, die wir noch nicht entdeckt haben?«
»Ich denke, Albert Einstein muss etwas darüber gesagt haben«, warf Kit ein.
»Wer ist das? Ich glaube nicht, dass ich diesen Gentleman kenne.«
»Nein«, antwortete Kit, »ich nehme nicht an, dass Sie ihn kennen. Aber er hat in meiner Welt ziemlich viel Aufsehen erregt.«
»Erzählen Sie mir etwas von Ihrer Welt. Wie ist sie so – ist sie sehr viel anders, die Zukunft?«
»Nun, wo soll ich anfangen?«, fragte Kit. »Ich schätze, die Dinge sind –«
Young blieb plötzlich stehen. »Nein! Warten Sie. Sagen Sie kein weiteres Wort.«
»Nein?«
»Was auch immer Sie mir erzählen, könnte unvorhersehbare Folgen haben. Es könnte katastrophale Auswirkungen geben.« Er zog an einem Zipfel seines Schnurrbarts. »Ich muss darüber nachdenken. Ich muss es mit größter Sorgfalt prüfen.«
»Okay«, stimmte Kit ihm zu. »Sie wissen es am besten.«
»Wo sind wir eben gewesen?«
»Sie haben über das Mysterium der Zeit gesprochen.«
»Richtig. Manchmal denke ich: Wenn wir nur ein Wissen vom Funktionieren der Zeit auf ihrer fundamentalsten Ebene erwerben könnten, würden wir schließlich auch beginnen, etwas von den Gedanken und Zielen Gottes zu verstehen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete Kit. »Das scheint mir ziemlich willkürlich zu sein – aber ich bin natürlich kein Experte.«
Thomas betrachtete seinen Gefährten einen Moment, dann wandte er den Blick nach oben zum klaren blauen Himmel. »Wissen Sie, warum ich hier in Luxor bin?«
»Um Geschichte auszugraben, die Vergangenheit zu studieren – diese Art von Tätigkeiten, nicht wahr?«
»Teilweise«, antwortete Thomas. »Allerdings nur in der Weise, dass all diese Ausgrabungen und Studien einem weitaus höheren Ziel dienen.«
»Welches lautet?«
»Das Geheimnis der Grabmäler zu enträtseln.«
»Das der Pharaonengräber?«
»Das aller Gräber.« Als er Kits fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, fuhr Thomas fort: »Seit der Mensch ein Wesen mit einem Bewusstsein geworden ist, errichten wir Grabmäler und einfache Gräber für unsere Toten. Ist das nicht so?«
»Ich nehme es an.«
»Es ist eine Tatsache. Von einem Ende der Welt zum anderen, in jedem der aufeinanderfolgenden Zeitalter von der Morgendämmerung des menschlichen Bewusstseins bis jetzt und von den einfachsten Gesellschaftsformen bis zu den komplexesten – immer haben wir Gräber und Grabmäler für unsere Toten errichtet. Haben Sie jemals innegehalten, um sich zu fragen, warum?« Thomas beäugte ihn erwartungsvoll. »Warum sollte man sich mit solch einer aufwendigen und schlussendlich sinnlosen Tätigkeit beschäftigen, wenn der Tod die letzte, unumstößliche Antwort auf alle Fragen des Lebens ist?«
Kit musste unwillkürlich daran denken, wie sehr er es bereute, Cosimo und Sir Henry unbegraben und unbetrauert zurückgelassen zu haben, und wagte eine Vermutung: »Vielleicht tun wir dies nicht für die Toten, sondern für uns selbst.«
»Sehr gut!«, lobte Thomas diese Antwort. »Dennoch – wenn wir es nur für uns selbst tun, was erhoffen wir dann durch ein solch anstrengendes Unterfangen zu gewinnen? Denn wenn die Vernichtung alles ist, was es am Ende des Lebens gibt, dann ergeben Grabmäler letzten Endes keinen Sinn, welcher Art auch immer.«
»Richtig«, gestand Kit ein.
»Richtig – es sei denn, es gibt etwas, das über die bloße körperliche Existenz hinausgeht«, setzte Thomas rasch der eigenen These entgegen. »Etwas, das sich jenseits des Grabes befindet; etwas, das selbst unsere primitivsten Vorfahren kannten – das wir modernen Menschen jedoch scheinbar vergessen haben.«
»Was haben unsere Vorfahren gekannt?«
»Genau das ist das Rätsel der Grabmäler«, verkündete Thomas. »Und das ist es, was ich zu entdecken versuche.«
Kit überdachte dies einen Moment lang. »Nach all
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