Das Knochenhaus
schon bald weit über Kits sehr begrenzten Erfahrungs-und Verständnishorizont hinaus.
»Ich wünsche ehrlich, ich könnte Ihnen mehr erzählen«, gestand Kit schließlich, während sie dasaßen und auf die Überreste der Mahlzeit starrten. »Cosimo, mein Urgroßvater, war der wirkliche Experte. Er ist derjenige gewesen, der mich in diese Sache hineingezogen und der am meisten darüber gewusst hat. Ich bin mir sicher, er hätte Ihnen weit mehr erzählen können als ich.«
»Das klingt so, als ob er ein Mann ganz nach meinem Geschmack war«, meinte Thomas. »Ich hätte ihn wirklich gerne getroffen.«
»Wenn das doch nur möglich wäre«, erwiderte Kit düster. »Leider weilt Cosimo nicht mehr unter uns.«
Thomas bemerkte den traurigen Unterton in der Stimme seines Tischgenossen und hob überrascht die Augenbrauen. »Soll ich das so verstehen, dass er erst kürzlich verschieden ist?«
Kit war plötzlich nicht mehr in der Lage zu sprechen und nickte bloß.
Thomas lehnte sich zurück und betrachtete Kit über den Tisch hinweg. »Vergeben Sie mir – doch ich bin verwirrt. Ich hatte angenommen ...«
»Dass er schon vor vielen Jahren verschieden sein musste?«
Der Arzt nickte.
»Cosimo und Sir Henry sind erst vor ein paar Tagen gestorben.«
»Mein lieber Freund ...« Thomas’ Verhaltensformen als Arzt traten nun in den Vordergrund; er streckte den Arm über den Tisch und tätschelte Kit am Arm. »Es tut mir wirklich leid. Darf ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen?«
Kit dankte seinem Gastgeber für sein Mitgefühl und berichtete ihm dann über das vorzeitige Ableben von Cosimo und Sir Henry. Thomas, der sein Kinn auf die gefalteten Hände gelegt hatte, hörte sich aufmerksam die traurige Geschichte an, während Kit sein Herz ausschüttete und sich so von der Last befreite, die er geschultert hatte, seit er in Burleighs Fänge geraten war. »Es liegt nun an uns – ich meine Wilhelmina, Giles und mich selbst –, das Werk dieser beiden guten Männer fortzuführen«, erklärte er zum Schluss.
»Ein höchst nobles Bestreben«, lobte Thomas. »Ich habe größten Respekt vor Ihnen. Darüber hinaus bin ich bereit, dieses Unterfangen zu stützen – in jeder Weise, die mir möglich ist.«
»Danke. Sie wissen ja nicht, was für eine Erleichterung es ist, Sie so etwas sagen zu hören.«
Ein Kellner mit weißem Mantel und blauem Turban kam herbei, um das Geschirr wegzuräumen. Young sprach ein paar Worte auf Arabisch zu ihm und erhob sich anschließend. »Kommen Sie, wir werden unser Gespräch im Garten fortführen. Der Spaziergang wird uns guttun.«
Sie durchquerten den Speisesaal und gingen durch eine doppelflügelige Glastür, die sich zu einer überdachten Terrasse hin öffnete. Anschließend stiegen sie eine Treppe hinunter zu einem mit Kieselsteinen ausgelegten Weg, der in einen von Palmen beschatteten Garten voller tropischer Vegetation führte. Sie schlenderten zwischen limettengrünen Baumfarnen und Zwergfeigen.
In Kits Seele kehrte der Frieden zurück. Nach einer Weile fragte er: »Was hat Wilhelmina Ihnen eigentlich erzählt – ich meine, über all das? Wie hat sie es erklärt?«
»Nun«, seufzte Thomas, »sie hat das Ungeheuerlichste gesagt, was ich jemals von einem vernünftigen menschlichen Wesen gehört habe. Sie hat mir sehr klar und deutlich erzählt, sie sei eine Reisende aus einer anderen Dimension. Und sie sei gekommen, um mich zu verpflichten, ihr bei der Auffindung eines sehr wertvollen Artefakts zu helfen, von dem angenommen wird, dass es irgendwo in Ägypten vergraben liegt.«
»Wilhelmina kann sehr ... energisch sein.«
»Ich dachte natürlich, sie sei verrückt«, gestand der Arzt. »Bei meiner Arbeit begegne ich gelegentlich Menschen, die unter verschiedenen Formen von Wahnvorstellungen und Geisteskrankheiten leiden ... Das waren allerdings nur ihre einleitenden Bemerkungen. Ich bot ihr eine Erfrischung an und bemühte mich, dass sie weitersprach, damit ich sie besser würde beobachten können, um meine Diagnose zu präzisieren. Ich habe geglaubt, sie würde unter einer besonderen Hysterie leiden.« Er lächelte unvermittelt. »Genau da geschah es, dass sie mich gefangen nahm, das liebe Mädchen.«
»Meinen sie das wörtlich?«
»Sie sprach klar, deutlich, lebhaft, intelligent und leidenschaftlich, und die eindeutigeren Anzeichen geistiger Verwirrung fehlten vollkommen. Und so geschah es: Je mehr sie redete, desto größer wurde meine Faszination. Kurz gesagt, ich ließ es
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