Das Koenigreich des Sommers
ein Gewand aus purpurrotem Leinen, durch das jede Linie ihres Körpers sichtbar war, und sie saß da und schaute in einen Bronzespiegel. Ich konnte ihr Gesicht im Spiegel sehen, und die offene Tür und meine eigene Gestalt waren im Spiegelbild eingefroren. Die Augen ihres Spiegelbildes begegneten meinem Blick, und ihr Mund zog sich zusammen. Sie drehte sich um. Ich ließ meinen Blick auf ihrem Spiegelbild ruhen, und ich gebe zu, ich hatte Angst, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Was tust du hier?« Ihre Stimme war weicher als eine Wollgrasflocke, aber so kalt, daß mir das Mark in den Knochen gefror.
»Eivlin«, keuchte ich. »Ich. ich wollte ihr helfen, das Dach auszubessern.«
»Deine Hilfe ist nicht notwendig. Geh! Nein, warte.« Sie erhob sich und kam auf mich zu, und ich mußte meinen Blick vom Spiegel abwenden. Ich wünschte von Herzen, ich wäre anderswo, und ich fragte mich, warum ich jemals von zu Hause weggegangen war. Ich kann es nicht erklären, aber diese Frau ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. »Du bist doch Gawains Diener, nicht?«
»Ja, große Königin«, murmelte ich.
Sie lächelte süß. »Es ist sehr großzügig von dir, daß du uns bei unseren Angelegenheiten helfen willst. Wie ist dein Name?«
Ich leckte mir die Lippen. Ich hatte nicht den Wunsch, irgend etwas auszusprechen, was ihr vielleicht Macht über mich und die Meinen gab. Aber ich mußte sagen: »Rhys ap Sion, Herrin.«
»Rhys ap Sion.« Sie spielte mit einem goldenen Anhänger, der um ihren Hals hing, und ihr Blick war auf meine Augen fixiert. Mir war schwindlig, und innerlich wand ich mich. Aber ich erinnerte mich meiner Prahlereien gegenüber Eivlin, und ich schaffte es so eben noch, zurückzustarren.
Sie ließ den Anhänger fallen. »Es ist sehr großzügig. Weiß dein Herr, mein Sohn, was du hier tust?«
Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf.
»Vielleicht hat er es dir befohlen«, sagte sie, noch immer lächelnd. »Ich glaube, so war es wohl.« Sie streckte die Hand aus und legte sie auf meine Schulter. Dann beugte sie sich vorwärts; ihre Lippen teilten sich leicht, und sie lächelte noch immer. »Er darf gern wissen, was immer du siehst. Sag ihm das. Aber sei gewarnt, ich liebe es nicht, ausspioniert zu werden, Rhys ap Sion, und ich liebe auch diejenigen nicht, die das tun. Gut.« Sie ließ den Arm sinken. »Eivlin ist heute den ganzen Tag in der Küche. Vielleicht kannst du sie dort finden.«
Ich verbeugte mich tief und ging. Als ich aus der Tür trat, stieß ich fast mit Maelgwyn von Gwynedd zusammen. Er knurrte mich an und holte aus, und ich duckte mich, während ich die Bewegung in eine Verbeugung und eine gemurmelte Entschuldigung verwandelte. Dann schritt ich davon, so schnell ich konnte. Aber hinter mir hörte ich, wie er Morgas begrüßte, und ich hörte ihr tiefes Lachen, während ein Blick über die Schulter mir zeigte, daß sie die Tür schloß. Sein Arm hatte um ihrer Hüfte gelegen.
Ich ging halbwegs bis zur Küche, dann blieb ich stehen auf dem reinen Gras, und der klare Himmel war über mir. Gawain hatte gesagt, Morgas sei es, die die Pläne schmiedete, und wahrhaftig, der verwelkte alte König Lot sah auch nicht so aus, als ob er dazu fähig sei. Lot stammte aus einer Welt der Armeen und Verbündeten, aber Morgas war subtiler. Morgas beherrschte die Gedanken ihrer
Verbündeten und unterwarf sie nicht einem bestimmten Ziel, sondern sich selbst. Gleichgültig, wer wen eingeladen hatte, sie schlief mit dem König von Gwynedd, und sie würde ihm diktieren, was er zu tun hatte. Die Ynysoedd Erch waren einfach zu weit entfernt- und deshalb war sie nach Gwynedd gekommen, um sich ein Werkzeug zu suchen. Lot Mac Cormac hatte wahrscheinlich keine Ahnung von ihren Plänen, aber es gab möglicherweise andere, die Bescheid wußten.
Ich wandte mich von der Küche zu den Ställen, in der Hoffnung, Gawain zu finden.
Zufällig war er nicht dort, sondern auf dem Übungsplatz in der Nähe. Er warf vom Pferd aus Speere auf ein Ziel. Ceincaled schoß über das Feld, so leicht wie eine Schwalbe, und Gawain schien ein Teil von ihm zu sein. Er warf die Speere gerade und mit sicherer Hand. Es war ein herrlicher Anblick, aber ich war nicht in der Stimmung, mich hinzusetzen und ihn zu bewundern.
»Herr!« rief ich. Er warf mir einen Blick zu, wendete dann Ceincaled in einem leichten Halbkreis und galoppierte zu mir herüber. Vor mir zügelte er das Pferd und beugte sich vornüber. Er stemmte den Ellbogen aufs Knie und
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