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Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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durch diese Prachtstraßen schritt.
    Bull Kammerlan fasste mit der Hand durch die Wände eines der geschwungenen Türme, dessen Seiten flackerten, als seine Finger durch das Material hindurchglitten. »Eine Geisterstadt! Aber ich kann die Oberfläche fühlen.«
    Amelia legte ihre Hand auf eine Mauer, und der Turm erschauerte, als ihre Finger vollständig hindurchgriffen, während sie weiterging. Es war, als hielte sie ihre Hände in einen Wasserfall, aber auch sie fühlte die Oberfläche  – eine harzige Verbindung, Eichenholz, das mit den Eigenschaften eines synthetischen Metalls versehen worden war, während es heranwuchs. Ganz natürlich, aber so hart wie der Rumpf eines Dampfritters. »Diese Geister erinnern sich. Die Projektion enthält die Erinnerung an das, was einst einmal war.«
    »Projektion?« Bull sah sich vorsichtig um. »Das hier ist eine Zauberlaternenvorführung?«
    »Nein«, sagte Amelia sehnsüchtig. »Der Zauber verschwand schon vor langer Zeit. Das hier ist das, was von einem Traum übrig blieb. Leider habe ich inzwischen stark den Eindruck, dass es sich um meinen eigenen Traum handelt.«

    »Es gibt keine Menschen in dieser Projektion«, sagte Bull. »Was ist der Sinn einer Stadt, wenn es keine Leute gibt?«
    »Das ist mir auch schon aufgefallen.«
    Amelia sagte nicht, dass die Geister dieses Ortes es nicht ertrugen, sich an das Fehlende zu erinnern, an eine ganze Zivilisation, die den Zenit all dessen darstellte, was die Menschheit je erreicht hatte – eine Million oder noch mehr, die sich selbst geopfert hatten, damit ihr Vermächtnis nicht in falsche Hände geriet.
    Sie führte Bull durch die nachgiebigen Erinnerungen dessen, was einst gewesen war. Alle Mängel der Perspektive wurden dadurch aufgefangen, indem sich die Stadt um sie herum stets neu erbaute, sie über Boulevards schreiten ließ, die sich einmal majestätisch über der Oberfläche des Ataa-Naa-Nyongmo erhoben hatten, vorbei an flussbreiten Aquädukten, die sich unter Schwebebahnen dahinschlängelten, durch Gärten, in denen abstrakte Skulpturen sich von der Schöpfung eines Künstlers in die eines anderen verwandelten; ein kubistischer Körper hob eine Tänzerin in die Luft, bevor er sich in ein Gewirr von Kugeln verwickelte, die vielleicht einen Vogel darstellten und dann zu einer Explosion verschmolzener Pyramiden wurde.
    Die Geister hielten sie zum Narren. Sie wollten ihr nichts Böses, so viel schien klar, aber sie versuchten zu verbergen, was im Herzen dieser Erscheinung lag. In diesem Mittelpunkt, der sie zu sich rief. Sie hatte einen schrecklichen Verdacht, was sie dort finden und welche
Entscheidung dort von ihr verlangt werden würde. Diese Kammer war nicht groß genug, um auch nur den tausendsten Teil dessen zu umfassen, was einst Camlantis gewesen war. Es war ein Irrgarten, der sich ständig neu um sie herum formierte und versuchte, seine wahre Natur zu verbergen.
    »Das genügt nicht«, sagte Amelia. Sie hätte am liebsten geweint. Alles, was sie mittels der kaputten Bruchstücke der Vergangenheit, für die sie ihren Hals riskiert hatte, je hatte erahnen können, alles war wahr. Die Camlantiker hatten ihr Leben als Kunst gelebt. Ihr Himmel war nicht von den tödlichen Rußwolken der Dampfmaschinen verdunkelt, sondern gefüllt mit den zarten Nebelschleiern der Türme, die Regenwasser in unschätzbare Energiereserven umwandelten, und es gab Straßen, die ihre Kraft allein aus dem endlosen Licht der Sonne zogen. All dies war verloren gewesen, bis jetzt.
    Sie änderte ihre Richtung, vertraute ihrem inneren Kompass innerhalb all der unbezahlbaren Einblicke, die sie in diese lang verlorene Kultur bekommen durfte. Die Geister von Camlantis verwandelten sich in noch mehr Straßen und Szenerien, immer schneller, und versuchten, sie von den kleinen Gässchen und Hinterhöfen wegzulocken, auf die sie nun zuhielt. Amelia ignorierte die Erscheinungen, die ihr nun eine Arena mit kontrolliertem Mikroklima zeigten, in dem die Geschöpfe der verschwundenen Wetterkünstler ihre Darbietungen vor einem leeren Stadion präsentierten. Dann lenkten sie ihren Blick auf einen großen Platz, in dem zahllose
regenbogenfarbene, sich drehende Schirme schwebten, die neugierige Reisende in die Luft heben und sie mit einem einfachen Befehl zu jedem Ort innerhalb der Stadt bringen konnten. Doch ganz gleich, welche Wunder ihr noch gewahr wurden, sie wollte nicht mehr abbiegen. Als ob sie spürten, dass sie in dieser Hinsicht fest entschlossen war,

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