Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
Vom Netzwerk:
Kralle auf ihren Gehilfen. Er ging zu einer der Wände der Kammer, über einen schmucklosen Felsboden, der von den Krallenfüßen seiner vielen Hundert Vorgänger blank geschliffen war. Dort kniete er sich vor eine hölzerne Kiste und
schlug sie auf, um dann vier lange, in Tuch gehüllte Gegenstände auf den Boden zu heben. Als er das Tuch abwickelte, kamen Speere zum Vorschein. Lange Schäfte aus goldenem Metall, in einem Schmelzverfahren gegossen, das lange schon vergessen war, mit so scharf gefeilten Spitzen, dass es hieß, sie würden, wenn man sie gegen einen Felsblock schleuderte, ohne einen Kratzer hindurchdringen.
    Noch immer kniend reichte der Gehilfe je einen der Speere den vier Sehern der Roten Feder, als sie zu ihm traten, um ihre Gaben in Empfang zu nehmen. »Für die Berge des Nordens und den Wind, der deine Flügel wärmt. Für die Berge des Ostens und den Wind, der dich über ödes Land dahineilen lässt. Für die Berge des Südens und den Wind, der dich über die Dünen hebt. Für die Berge des Westens und den Wind, der dich übers Meer trägt.«
    Sie standen einen Augenblick da und hielten ihre Speere umklammert, überwältigt von der Größe dessen, was man von ihnen erwartete. Es gab Lieder über Zeiten wie diese. Zeiten, in denen die Speere, geschmiedet aus einem gefallenen Stern, an die Seher ausgegeben worden waren. Aber das waren uralte Lieder, so alt, dass aus den Versen durch die Wiederholung längst eine Liturgie geworden war. Zu erfahren, dass sie nun in solchen Zeiten lebten … dass sie in einer Legende lebten …
    Einer der Seher hob seinen Speer, und die anderen taten es ihm gleich, dann führten sie ihre Spitzen in
der Mitte der großen Höhle der Seherin zusammen. Es herrschte Schweigen, nur unterbrochen vom Lodern des Öls, das auf dem See brannte.
    »Das ist es, was es sonst noch gibt«, sagte die große Seherin, obwohl ihr diese Worte sicherlich vom Flüstern der Winde und der Gnade der Götter eingegeben wurden. »Ich habe gesprochen.« Die große Seherin schlang ihre Flügel um sich, und ihr Gehilfe erstickte das Feuer auf dem See, indem er eine goldene Decke darüberwarf, deren Fäden aus dem seltenen Sternenmetall gesponnen worden waren. Die vier Seher der Roten Feder folgten dem Gehilfen zurück ins Licht der ersten Höhle.
     
    Nun, da sie in der Dunkelheit erneut allein war, ließ die große Seherin die Leere der Zukunft ihre Seele erfüllen. »Oh, du ehrfurchtsloser Thron, oh, all die Schlauheit und die Hoffnungen der Menschen.« Eine Träne rann ungesehen vom Auge der großen Seherin und fiel in den See zu ihren Füßen. »Oh, Camlantis.«
     
    Als die vier Seher der Roten Feder den Eingang ihres Horsts vor sich sahen, begannen die geflügelten Geschöpfe zu laufen, wobei sie zwischen jedem Seher und dem nachfolgenden Läufer einen kleinen Abstand ließen. Auf der gegenüberliegenden Klippe tauchten die Köpfe einer Gruppe junger Flüggewerdender auf und sahen über den Rand, und der Schamane, der ihnen ihre Tongedichte beibrachte, ärgerte sich über die Unterbrechung.
Die Seher stürzten sich vom Gipfel, schossen in die Tiefe, bis ihre Flügel sich mit ohrenbetäubendem Krachen zu voller Breite auffächerten. Die Kinder stießen überraschte Rufe aus, als die goldenen Speere im Sonnenlicht schimmerten. Die urältesten Lieder ihres Volkes waren stets die, die man als Erstes lehrte, aber vielleicht verstand nur der Schamanenlehrer wirklich, welch eines Augenblicks sie gerade Zeuge wurden.
    Von den Simsen der Nester über und unter ihnen ertönten Alarmpfiffe, und mehr und mehr Flugbrüder traten aus ihren Behausungen am Berg, um zu sehen, was diese Unruhe verursachte.
    Die vier Seher der Roten Feder ließen sich von einem Aufwind erfassen und kreisten hoch über die Berggrate, bis sie ihre Formation auflösten. Nach Norden. Nach Osten, Nach Süden. Nach Westen.
    In den Krieg.

16

    B ull lenkte die Tauchkugel mit einem Ruck nach steuerbord, als die Dornwaffe des Saatschiffs an ihnen vorbeizuckte und eine Spur hoch verdichteter Luftblasen hinter sich herzog. Der Daggischtenherrscher war offenbar misstrauisch geworden, als seine Gefangenen so lange in der camlantischen Unterwelt verschollen blieben. Zwei seiner jüngsten Tauchsaatschiffe hatten im Hinterhalt gelegen und auf sie gewartet, als sie aus dem Lichttor auf dem Grund des Ataa-Naa-Nyongmo kamen.
    »Ich dachte, sie wollten die Krone in einem Stück in die Hände kriegen«, brummte Bull.
    »Was auch immer in diesen

Weitere Kostenlose Bücher