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Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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öffnete sich leicht, um das Streichholz auszublasen, und dann sah er den Gehilfen mit seinen Echsenaugen an. »Die große Seherin hat wahrgesehen?«
    »Ich fürchte, ja.«
    Der Gehilfe hob die Hand, um seinen Nacken und das dort befindliche wahre Auge zu verdecken. Eine abergläubische Geste, die verhindern sollte, dass seine
Sichtkugel die Vision jener beeinträchtigte, die einen tieferen Blick besaßen als er.
    »Und in dem, was sie sah, was wurde dort enthüllt?«
    Der Gehilfe zögerte. Er war angesichts dessen, was man ihm aufgetragen hatte, immer noch sprachlos.
    Der Seher der Roten Feder berührte den anderen Laschliten leicht. »Ich habe nicht die Muße, mich drei Tage lang den Reinigungsritualen und Waschungen zu unterziehen, um in die Höhle der lauernden Jäger treten zu dürfen. Du musst uns berichten, was gesagt wurde. Jetzt.«
    »Ihr seid aufgefordert, in die Kammer der großen Seherin zu treten«, sagte der Gehilfe. »Ohne die Reinigungsrituale. Sofort.«
    Ihre Schnäbel klappten vor Überraschung auf. Sie sollten jene Rituale auslassen, die zu ehren man ihnen ihr ganzes Leben lang eingebläut hatte? Einfach so in die Kammer der großen Seherin treten? Kein Lied erzählte von etwas Derartigem, nicht ein einziges Mal wurde in den gedichteten Erinnerungen des Volks vom Wind so etwas erwähnt. Sie riskierten damit, ihre seherischen Kräfte auf ewig zu verderben.
    Der Gehilfe fiel nervös auf die Knie und deutete flehentlich auf den Durchgang, den sie nehmen sollten. Die vier Mitglieder der Roten Feder taten zögernd, wozu man sie aufforderte. Sie waren die Jünger der großen Seherin; welche andere Möglichkeit blieb ihnen? Der Gehilfe reihte sich hinter ihnen ein und nahm eine Fackel von der Wand, um die Dunkelheit zu verscheuchen.
Jedes Mal, wenn sie an einem der Meditationsbecken vorüberkamen, hielten sie kurz inne und widerstanden dem Instinkt, die uralten Rituale zu vollziehen. Den Staub der Klippen von ihren Federn zu waschen. Den Lärm in ihren Köpfen zum Schweigen zu bringen. Die Luft wurde wärmer, je tiefer sie in den Berg eindrangen, bis schließlich eine Brise wie ein Seufzer über ihre Krallenfüße strich und sich die vier Mitglieder der Roten Feder und der Gehilfe in der dunkelsten aller Höhlen wiederfanden. Die tiefe Finsternis wurde aufgebrochen vom Fackellicht des Gehilfen, das die Adern im Gestein zum Glänzen brachte, als er weiterging; Tausende von Quarzsternchen funkelten in dem riesenhaften Raum. Die vier Jünger blieben am Eingang stehen und warteten; sie fühlten sich besudelt, da sie die Reinigungsbecken nicht benutzt hatten. Der Gehilfe senkte nun seine Fackel in einen See aus Öl, und sofort stand die ganze Oberfläche in Flammen, das Licht lief die Höhlenwände empor und erhellte, hoch über ihnen, die große Seherin, die auf ihrer Stange hockend ihre Flügel ausgebreitet hatte und nun wohlig stöhnte, als die Wärme das Rheuma aus ihren uralten, hohlen Knochen vertrieb.
    »Tretet näher, Kinder der Roten Feder«, pfiff sie.
    Sie stellten sich vor dem See der Höhle in einer Reihe auf, die Flügel eingefaltet und um den Körper geschlungen, um sich vor der Hitze des Feuers zu schützen.
    »Septimoth ist gefallen!«, sagte die große Seherin, und ihre Stimme hallte von den Wänden wider.

    Die vier Seher der Roten Feder erbebten vor Entsetzen, als sie das hörten.
    »Wieso musste es ein elender Ausgestoßener sein, der ausgewählt wurde?«, stöhnte einer der Seher, als er sich wieder so weit gefasst hatte, dass er sprechen konnte. »Weshalb nicht ein Krieger der Flugbrüder? Weshalb nicht ein Kämpe?«
    »Septimoth lebt noch«, erklärte die große Seherin. »Aber er weilt in den Schatten des hellen Reiches, ebenso wie sein Gefährte aus dem Geschlecht der Menschen. Schon bald wird Verwüstung herrschen, überall – denn die Wasser des Sees der Vergangenheit wurden endlich geteilt. Unsere Zukunft entscheidet sich im Königreich jenseits der Wellen.«
    Als sie die Verzweiflung ihrer vier Jünger spürte, setzte die große Seherin hinzu: »Es gibt noch Hoffnung. Die Zukunft ist nicht klar. Beide sind wie ein bettlerhaftes Paar, auf das viele Pfade zulaufen. Ein Pfad führt zum Ende unseres Volkes, zu den schrecklichen Schloten des dunklen Windes, zum Ende aller Dinge. Der andere … der andere kann mit unserer Tapferkeit und unserem Blut noch erobert werden.«
    »Und was ist sonst noch dort, Mutter-Zukunft der Höhle der lauernden Jäger?«
    Sie deutete mit einer müden

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